Stornierungen statt Buchungen: Rund hundert Mitarbeiter von Reisebüros aus Stuttgart und Umland haben am Mittwoch auf dem Stuttgarter Karlsplatz auf die Nöte ihrer Branche aufmerksam gemacht.

S-Mitte - Mit ihren Koffern in den Händen hätte man sie für eine große Reisegruppe halten können, die gleich gut gelaunt in den Urlaub aufbricht. Doch fröhliche Gesichter gab es nicht, und die Koffer waren nur leere Staffage – wie die Kassen der Menschen, die sonst solche Reisen professionell organisieren. Rund hundert Mitarbeiter von Reisebüros aus Stuttgart und Umland kamen am Mittwoch auf dem Stuttgarter Karlsplatz zusammen, um auf die Nöte ihrer Branche aufmerksam zu machen. „Wir machen das, damit auch wir kleinen und mittelständischen Betriebe mal gehört werden, nicht nur die großen Konzerne im Tourismusgewerbe“, sagt Madeleine Hermann. Sie ist eine der Organisatorinnen der Demonstration, die an diesem Tag bundesweit in 40 größeren Städten durchgeführt wurde.

 

Weltweit radikal eingebrochen

Der Tourismus ist im Zuge der Corona-Pandemie weltweit radikal eingebrochen. „Wir waren die erste Branche, die von der Krise betroffen war, und wir werden die Letzten sein, die dort wieder herauskommen“, sagt Lena Runft. Die Tourismuskauffrau hat lange bei einem TUI-Reisecenter gearbeitet und gehört seit 2017 dem „Schmidener Reisebüro“ in Fellbach an. Zusammen mit dem Stammsitz in Möhringen hat die Firma sechs Beschäftigte, alle sind inzwischen in Kurzarbeit. „Trotzdem haben wir unsere Telefone nicht abgeschaltet und sind weiterhin für unsere Kunden da“, so Runft.

Die Dienstleistung für die Kundschaft besteht zuletzt fast nur noch aus Reisestornierungen, Neubuchungen gibt es auch aufgrund der weltweiten Reisewarnungen und -einschränkungen kaum noch. „Wir arbeiten seit sieben Wochen quasi ehrenamtlich und sind dabei noch die Seelsorger für viele Menschen“, sagt Arzu Dokucu, Inhaberin eines Reutlinger Reisebüros mit vier Mitarbeitern, über die Arbeitsumstände seit Anfang März. Denn während die großen Veranstalter, Airlines und Reedereien sich gegenüber den Urlaubern oft wortkarg geben („Bitte wenden Sie sich an ihr Reisebüro“), dürfen sich Fachleute wie Runft oder Dokucu um die Abwicklung von geplatzten Urlaubsträumen meist frustrierter Menschen kümmern. „Dafür erhalten wir keinen Cent. Denn Geld bekommen wir als Reisebüro erst und nur, wenn der Kunde im Flieger sitzt“, sagen die beiden über die Härten des auf Provisionszahlungen basierenden Geschäftsmodells.

„Unsere Arbeit 2019 wird rückwirkend vernichtet“, sagt deshalb Cornelius Meyer. Der Chef von „Best-Reisen“, einem Zusammenschluss von bundesweit 650 Reisebüros mit Sitz in Filderstadt, beschreibt den Umstand, dass den Reisebüros die Erlöse für viele geleistete Beratungen und Buchungsabschlüsse des vergangenen Jahres wegbrechen, wenn die Reisen nun doch nicht stattfinden.

„In Deutschland ist normalerweise jede Dienstleistung etwas wert, nur unsere nicht“, so Meyer und spricht von einem „Fehler im System“. Es gehe um mehr als 100 000 Arbeitsplätze und um die Existenz von bundesweit rund 11 000 Betrieben, auf knapp 300 wird die Zahl der mehrheitlich inhabergeführten Reisebüros in der Region Stuttgart beziffert.

Angst um den Job

Neben den klassischen Urlaubsreisen liegt auch der Markt der Geschäftsreisen völlig am Boden. Als „zu 99 Prozent eingebrochen“ bezeichnet Stefan Marku, ein in Stuttgart ansässiger Außendienstmitarbeiter, diese Branche, die in Deutschland zuletzt über 53 Milliarden Euro jährlich umgesetzt hat. Marku muss wie viele andere plötzlich um seinen Job bangen: „Mal sehen, wie lange die große Mutterfirma uns unterstützt.“

Der Zusammenschluss der Reisebüros hat ein Schreiben an das Bundesfinanzministerium verfasst. Gefordert wird ein finanzieller Rettungsschirm in Form eines Notfallfonds. „Wir wollen ja gar kein Geld geschenkt haben“, sagt Cornelius Meyer über den beabsichtigten Kredit, der die Reisebüros durch die Krise führen und später dann sukzessive zurückbezahlt werden soll.

„Ohne Rettungsschirm wird es zahlreiche Reisebüros dahinraffen“, da ist sich Lena Runft sicher. Schon die Kurzarbeit durchzustehen sei hart, weil ihre Branche mit einem Einstiegsgehalt von 1800 Euro brutto und nur wenig finanziellen Steigerungschancen ohnehin nicht gut bezahlt sei, so Runft: „Aber wir werden versuchen es durchzustehen.“