In der Kultkneipe Schlampazius haben Stuttgarter Künstlerinnen und Künstler ihren neuen Nacktkalender „Auto statt Stuttgart“ gefeiert. Der Shitstorm im Netz, sagen sie, zeige, wie „prüde“ die Stadt noch immer sei.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der Plan war, die Release-Party für den Stuttgarter Nacktkalender 2019 zum Thema Autos im Showroom eines Autohauses zu feiern – doch es kam eine Absage nach der anderen. „Die verstehen wenig Spaß“, bedauert Justyna Koeke, eine der Kalendermacher(innen). Schlimm sei die Ablehnung aber nicht, findet die Dozentin der hiesigen Kunstakademie für die Fachbereiche Textile Medien und Performance. Im Schlampazius sei die Stimmung beim Kalenderfest „mega“ gewesen.

 

Sehen Sie hier die Nackt-Künstlerin im Video-Porträt.

100 Exemplare des Kalenders „Auto statt Stuttgart“ , der bereits vor der offiziellen Präsentation im Netz heftige Debatten ausgelöst hat, sind in einer Nacht mit viel Musik (etwa von Putte & Edgar und Rüdiger Scheiffele Unlimited Experience) und mit erklärenden Worten der Künstler in der neu eröffneten Kultkneipe im Stuttgarter Osten verkauft worden. Zu sehen sind auf den Monatsblättern nackte Menschen in Staus, an einer Tankstelle, trampend am Straßenrand, auf einem Autofriedhof, den Schwabtunnel abschleckend.

„Sex sells“ – dies sollte keiner zu Justyna Koeke sagen. Den Begriff hält sie für „altbacken“ und betont: „Nackte Haut hat doch nichts mit Sex zu tun.“ Der Shitstorm, den es zum dritten Nacktkalender gegeben habe, zeige, wie „prüde“ und „sexistisch“ die Stadt immer noch sei.

„Männer sollten sich emanzipieren“

Genau in diesem Shitstorm haut einer der Spötter heftig rein: „Sex sells“ sei völlig unzutreffend in diesem Fall, schreibt er im Netz: „Wenn ich diesen Kalender anschaue, habe ich keine Lust mehr auf Sex.“ Ein anderer Kritiker lästert: „Wie die Frauen im Kalender aussehen, geht es ihnen um viel – nur nicht um Männer.“

Justyna Koeke hält dagegen: „Natürlich will ich Männern gefallen. Ich ertrage aber keinen Sexismus, der vorschreibt, wie wir aussehen müssen, um Männerfantasien zu bedienen.“ Sie selbst ist geschieden und sagt über sich: „Ich versuche, in freien Beziehungen zu Menschen zu stehen – ich möchte frei mir gegenüber und anderen gegenüber sein.“

Männer sollten sich „emanzipieren“, findet die 42-Jährige: „Sie müssen Frauen und ihre Bedürfnisse endlich ernst nehmen.“ Viele Männer fühlten sich noch immer konservativen Werten verpflichtet. „Wir Frauen sind da viel weiter.“

Sind Männer im Umgang mit Frauen nach #meToo verunsichert?

Doch sind viele Männer nicht wegen der Debatten um #meToo und um sexuelle Belästigungen verunsichert im Umgang mit Frauen? Ist etwa jeder Mann automatisch ein Sexist? Was fällt unter das uralte Spiel der Geschlechter und was nicht mehr? Wer legt die Grenzen fest? Haben sich Grenzen aufgrund der Vorwürfe verschoben? Aufs Flirten müsse keiner verzichtet, sagt Justyna Koeke. Es sei nicht schlecht, wenn Frauen die Initiative übernähmen. „Wir Frauen können prima anmachen, wenn wir wollen“, sagt sie.

Bei der Release-Party für den Nacktkalender im Schlampazius war keiner nackt. „Warum auch?“, fragt die gebürtige Polin. Der Kalender sei ein Kunstprojekt. „Es bedeutet nicht, dass jeder von uns nackt rumläuft“, unterstreicht sie. Die kontroverse Debatte zu „Auto statt Stuttgart“ ist ganz in ihrem Sinn. „Das führt zum Nachdenken über das Verhältnis zum eigenen Körper“, sagt die Mutter eines Sohnes, ,,wir müssen lernen, unseren Körper schön zu finden und ihn so hinzunehmen, wie er ist.“ Der Kunstkalender richte sich „gegen Körperfeindlichkeit“.

Also, liebe Leserinnen und Leser, dann schauen wir doch alle mal, was hübsch an uns ist! Vielleicht lässt sich Schönsein sogar erlernen – mit Selbstbewusstsein und Zufriedenheit. Sollte Ihnen jemand mal vorwerfen, Sie hätten ein paar Pfunde zu viel oder zu wenige Muckis, sagen Sie einfach: Mein Körper ist nicht perfekt, aber ein Kunstwerk! Und das ist gut so!