Vor seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des Rems-Murr-Kreises hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann Vorzeigeprojekte besucht – von der Rems-Renaturierung in Winterbach bis zur Wasserstoff-Lernwerkstatt in der Backnanger Berufsschule.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Beim Blick ins Kiesbett gibt es vom Landesvater einen Rüffel: Auch das Ufer der Rems ist vor pflanzlichen Neubürgern wie dem Japanknöterich oder dem Springkraut schließlich nicht gefeit. Deshalb gibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann, vor dem Einstieg in die Politik bekanntermaßen als Biologielehrer tätig, in Winterbach einen Praxistipp von ganz grundsätzlicher Natur: „Mein Eindruck ist, dass das Thema Neophyten nicht ernst genug genommen wird“, mahnt der 75-Jährige ein fachlich fundiertes Pflegekonzept fürs renaturierte Remsufer an – nicht dass die eingeschleppten Pflanzenarten auf dem für teuer Geld gerichteten Flussabschnitt noch die heimischen Gewächse überwuchern.

 

Der Rundgang an der renaturierten Rems bildet am Freitag den Auftakt für den ganztägigen Besuch des Ministerpräsidenten im Rems-Murr-Kreis. Am Abend wird Grünen-Politiker Kretschmann beim Fest für das 50-jährige Bestehen des Landkreises in der Rems-Murr-Halle in Leutenbach erwartet, vor der Jubiläumsrede stehen Stippvisiten bei kreisweiten Leuchtturmprojekten auf dem Programm. Um Windkraft und Solarenergie geht es ebenso wie um den Klimawandel und die Bemühungen um einen verbesserten Hochwasserschutz.

Auch die Streuobstbox der Grundschule Allmersbach ist einen Besuch wert

„Beim Rems-Murr-Kreis denke ich an schöne Natur- und Kulturlandschaften, an Wälder und Weinberge, an Hightech und Tradition. Hier gibt es einfallsreiche mittelständische Betriebe, Weltmarktführer, es gibt starke Kommunen und eine engagierte Bürgerschaft“, sagt der Ministerpräsident im Vorfeld. Geschnürt haben Landratsamt und Staatsministerium ein Programm zwischen Naturschutz und Naherholung, Mobilität und mustergültigen Maßnahmen.

Bei der zweiten Station in Allmersbach im Tal erhält der Pädagoge an der „Streuobstbox“ beispielsweise einen praktischen Einblick in die naturpädagogischen Ansätze der örtlichen Grundschule. Im Grünen Klassenzimmer erfahren Kinder in Allmersbach, wie Streuobstwiesen gepflegt werden müssen und welche Tiere dort ihren Lebensraum haben. Bei dem Besuchstermin werden außerdem die Bienenpatenschaften der Imkerei am Turm vorgestellt. Im Anschluss folgt am Beruflichen Schulzentrum Backnang eine Präsentation der Lernwerkstatt Zukunftstechnologie. Die Schülerinnen und Schüler präsentieren die Ausstellung „mobilesBW“ und erläutern die Besonderheiten ihrer beruflichen Ausbildung, es geht um Mobilität mit Wasserstoff und Brennstoffzelle.

Rems-Murr-Landrat Richard Sigel rückt sein Radwegkonzept ins rechte Licht

Im Schlepptau hat der Ministerpräsident einen Tross aus Landtagsabgeordneten, Bürgermeistern und Behördenvertretern. Landrat Richard Sigel nutzt die Chance, auf der Trasse für den Schnellradweg durchs Remstal auch gleich das Radwegkonzept für den Rems-Murr-Kreis ins rechte Licht zu rücken. Und die Stuttgarter Regierungspräsidentin Susanne Bay nimmt die Politprominenz zum Anlass, ihre Behörde als starken Partner der Kommunen ins Gespräch zu bringen.

Gerade die Renaturierung der Rems bei Winterbach sei ein großartiges Beispiel, was entstehen könne, wenn die verschiedenen politischen Ebenen im Land zielführend zusammenarbeiten würden. Tatsächlich gilt der Versuch, den vorher zwischen zwei enge Böschungen gezwängten Fluss auf einem gut 1,1 Kilometer langen Teilabschnitt aus seinem kanalartigen Korsett zu holen, als Erfolgsgeschichte. Schon eine Woche nach dem Abzug des letzten Baggers war der erste Eisvogel da, auch der Biber macht sich in der ökologischen Nische aus kleinen Inseln und von der Strömung verschonten Flachwasserbereichen langsam wieder breit.

An der Rems werden die ersten Biber gesichtet

Bereits vier Exemplare des im Remstal einst als ausgerottet geltenden Nagetiers wurden zwischen Winterbach und der Nachbarkommune Remshalden gezählt, Bürgermeister Sven Müller nennt das Highlight-Projekt der Remstal-Gartenschau auch deshalb längst ein „ökologisches Schmuckstück“ – zumal sich die Besucherzahlen mittlerweile eingependelt haben. Vor allem während der Corona-Lockdowns hatte es die Menschen in Scharen auf die Kiesbänke am Remsufer gezogen – weil Freibäder wegen der Virusgefahr geschlossen waren, suchten Wasserratten das Bad in der Natur. In die Renaturierung geflossen sind laut Uta Felsen 4,9 Millionen Euro, samt Grunderwerb und Altlastenbeseitigung. Jetzt fehlt noch ein Schutz naher Streuobstbäume vor Biber-Verbiss – und ein Pflegekonzept, das im Kampf gegen Springkraut und Knöterich auch den Landesvater glücklich macht.