Vor 50 Jahren verunglückte der Leonberger Rennfahrer Gerhard Mitter auf dem Nürburgring.

Leonberg - Gerhard Mitter junior zeichnet im Büro seiner Böblinger Werkstatt mit wenigen Strichen die technische Skizze einer Lenksäule, wie sie vor 50 Jahren im Formel-2-Werkswagen seines Vaters verbaut war. Zahnstange, Muffe und zum Schluss eine Schraube. „Die Schraube“, sagt der Auto- und Motorradmechaniker und tippt mit dem Kugelschreiber aufs Papier. Sie hätte die Lenkstange eigentlich fixieren sollen. Doch die Stange saß am 1. August 1969 gar nicht tief genug, als dass die Sicherungsschraube sie überhaupt erreicht hätte.

 

Ein tragischer Fehler eines Rennmechanikers vor dem Nachmittagstraining zum Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring. Gerhard Mitter, damals BMW- und Porsche-Werksfahrer zur selben Zeit, hatte zuvor bemängelt, dass die Lenkung des BMW 269 mit der Startnummer 24 zu schwammig, zu leicht sei. Das, was dann gegen 16.20 Uhr geschieht, beschreibt Mitters Biograf Siegfried Strasser in seinem Buch über den legendären Leonberger Autorennfahrer so: „Mitter flog von der Straße, durchschlug mit etwa 250 Stundenkilometern den alten Heckenzaun mit den knorrigen Stämmen, rechts von der Strecke. Das Fahrzeug dürfte sich mehrmals überschlagen haben, bevor es zum Stillstand kam.“

„Genickbruch“, sagt sein Sohn 50 Jahre später. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt zwar den Formel-2-Wagen, doch zur Verantwortung gezogen wird niemand. Letztlich war zu dieser Zeit der Motorsport einfach zu gefährlich – der Beruf Rennfahrer sozusagen ein einziges Berufsrisiko. „Der Mechaniker ist aber seines Lebens nicht mehr froh geworden“, sagt Mitter junior, der inzwischen in seiner Werkstatt neben einem dort ausgestellten Zweitakt-Formel-2-Motor steht, den der Vater 1964 selbst konstruiert hat.

Aufstieg beginnt in der väterlichen Auto-Union-Werkstatt in Eltingen

Der Aufstieg des 1935 in Schönlinde im heutigen Tschechien geborenen Gerhard Mitter zu einem der besten deutschen Rennfahrer seiner Zeit begann 1952 in der väterlichen Auto-Union-Werkstatt in der Leonberger Straße in Eltingen. Die Vertriebenen-Familie lebte zu dieser Zeit schon seit einigen Jahren in der Poststraße in Leonberg. „Zuerst ist er heimlich Geländerennen mit dem Motorrad gefahren“, erzählt sein Sohn, der sieben Jahre alt war, als Gerhard Mitter verunglückte. Der Erfolg stellte sich rasch ein: Schon 1955 wurde Mitter erstmals deutscher Meister in der 125-Kubikmeter-Klasse.

Ab 1962 betrieb der Rennfahrer dann selbst Werkstätten, zuerst in Böblingen, dann auch in Tübingen, und schließlich übernahm er die väterliche Werkstatt in Eltingen, die heute nicht mehr existiert. In der Leonberger Werkstatt des Vaters entstanden ab 1958 auch die legendären Mitter-DKW, ein Formel-Junior-Auto mit Zweitaktmotor. „Mein Vater konstruierte diesen Wagen, um sich seine Rennen zu finanzieren“, erzählt der Sohn. Zehn Mitter-DKW wurden weltweit verkauft. Drei davon existieren noch. Einer steht im Boxenstop-Museum in Tübingen.

Mit dem eigenen Mitter-DKW startete der Rennpilot dann im Automobilsport durch und erreichte gleich im ersten Formel-Junior-Rennen in Wallberg den ersten Platz. Ein Jahr später war er Deutscher Formel-Junior-Meister. Es heißt, die drei erfolgreichsten Junior-Formel-3-Fahrer aller Zeiten tragen die Namen Michael Schumacher, Lewis Hamilton und Gerhard Mitter. Letzterer mit mehr als 50 Siegen.

Die größten Triumphe

Mitters größte Triumphe waren wohl die dreifache Europameisterschaft der Bergrennen 1966 bis 1968 sowie, zusammen mit Udo Schütz, der Sieg im Langstreckenrennen Targa Florio 1969. Doch es gab auch einen großen Traum, der sich für Mitter nicht erfüllte: In der Formel 1 konnte sich der Rennfahrer letztlich nicht durchsetzen. Und das, obwohl er 1963 bei einem Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring sensationell Vierter mit einem, so sein Sohn, „steinalten“ Porsche 718 geworden war. Es blieb am Ende bei insgesamt nur sieben Formel-1-Läufen zwischen 1962 und 1965, darunter auch drei Rennen auf dem Solitude-Ring bei Leonberg.

Im Rückblick auf die Karriere seines Vaters, die von zahlreichen Hochgeschwindigkeitsunfällen gezeichnet war, sagt Gerhard Mitter junior, der seit rund zehn Jahren selbst Motorradrennen in der internationalen Classic-Motorsport-Serie fährt: „Mein Vater hatte eigentlich viel Glück, nur eben einmal nicht.“ Wie beim vergangenen Solitude-Revival steuert der 58-Jährige noch immer hin und wieder auf Classic-Veranstaltungen einen Mitter-DKW seines Vaters. Auch, um die Erinnerungen an ihn aufrechtzuerhalten. Begraben liegt Gerhard Mitter auf dem Böblinger Waldfriedhof, wo sich am 6. August 1969 mehr als 3000 Trauernde von dem Rennfahrer, dessen Karriere in einer Leonberger Werkstatt begann, verabschiedeten.