Gehörlose feiern gemeinsam einen Gottesdienst an der Krippe in Malmsheim.

Renningen - Es ist still in der Martinuskirche, aber beileibe nicht ruhig: Junge und alte Menschen stehen beieinander, mit fröhlichen Gesichtern und halberhobenen Händen, die ständig in Bewegung sind. Sie gehen aufeinander zu und tauschen sich aus. Es geht lebhaft zu. Doch es fehlt die Tonspur. Es fällt kein Wort.

 

Zwar ist die Kirche allgemeinhin eher ein Ort der Stille, doch der eine oder andere Besucher ist vielleicht ein wenig irritiert. Pfarrer Pitzal löst das Rätsel: Gleich zu Beginn des ökumenischen Gottesdienstes begrüßt er die gehörlosen Besucher aus der ganzen Region, die sich am Sonntag zur Andacht in Malmsheim eingefunden haben – jetzt ist klar, warum so beredt mit den Händen kommuniziert wird. Neben dem Malmsheimer Pfarrer steht der Landesgehörlosenpfarrer Roland Martin. Der beginnt auch gleich mit Gesten zu übersetzen, er ist unter Gehörlosen aufgewachsen und hat die Gebärdensprache schon als Kind erlernt.

Die Gebärden des Chores begleiten den Gesang der Gemeinde

In der ersten Reihe sitzen vier Frauen in schwarzen Shirts, darunter auch Pfarrerin Inga Keller. Sie betreut die Gemeinde Westgartshausen bei Crailsheim und kennt die gehörlose Welt schon seit vielen Jahren. Die vier Damen erheben sich, die Rückseite ihres Shirts ziert ein Logo aus zwei Händen: Sie sind Mitglieder des Stuttgarter Gehörlosenchors. Zusammen mit Inga Keller macht sich der Chor bereit, das erste Lied vorzutragen – gemeinsam mit der hörenden Gemeinde. Die ist zunächst verblüfft, wie soll das gehen? „Wir werden die erste Strophe vortragen, dann spielt die Orgel eine Strophe, und dann singen wir alle gemeinsam“, gibt die junge Pfarrerin den Takt vor. Der Chor beginnt, die Gemeinde schaut fasziniert auf die fließenden Bewegungen und die ausdrucksvolle Mimik der Vortragenden. Die Orgel setzt ein, und die Gebärden des Chores begleiten den Gesang der Gemeinde.

Pfarrer Martin beginnt mit seiner Predigt, Hände und Gesicht konzentriert in Bewegung. Pfarrerin Keller steht ihm zur Seite, sie liest die Predigt für die Gottesdienstbesucher, die die Gebärdensprache nicht beherrschen, laut vor. Am Ende geschieht etwas Ungewöhnliches: Die Gemeinde applaudiert. Es wird geklatscht, doch es recken sich auch viele Hände nach oben und drehen sich schnell aus dem Gelenk heraus: Gehörlose applaudieren anders.

Gehörlose können sich im Sitzen besser auf den Dolmetscher konzentrieren

Auch das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser werden geschickt mit den Händen mitgebetet, auch wenn die Gehörlosengemeinde dazu nicht aufsteht: „Es ist bei uns nicht üblich aufzustehen, da die Orientierung auf den Dolmetscher sonst zu schwer wird“, erklärt Pfarrer Martin der Gemeinde. Er ist seit 35 Jahre in der Gehörlosenseelsorge tätig, Leiter des Landesgehörlosenpfarramtes, Landeskirchlicher Beauftragter für Gehörlosenseelsorge in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und ein gefragter Übersetzer.

Das letzte Lied im Gottesdienstes ist „Oh, du Fröhliche“, die Gemeinde beginnt zu singen. Als der letzte Ton verklungen ist, setzt der Gebärdenchor ein. Weite, große Gesten und beredte Gesichter machen es leicht, den Text des Liedes noch mal Revue passieren zu lassen: Der Chor braucht keine Worte, um die Gemeinde zu bewegen.