Thilo Sarrazin warnt seit Jahren vor der angeblichen Bedrohung Deutschlands durch muslimische Einwanderer. Nun hat er sich erstmals explizit mit dem Islam befasst. Seine Fragestellung ist legitim, doch seine Darstellung ist ein Zerrbild.

Stuttgart - Thilo Sarrazin hat für sein neues Buch „Feindliche Übernahme“ den Koran gelesen und darin die Ursache aller Probleme der Muslime gefunden. Überraschend? Nein, etwas anderes war von einem Islamkritiker wie Sarrazin auch nicht zu erwarten. Irrelevant? Leider nein, denn wie bei seinen früheren Büchern ist dem umstrittenen Publizisten breite Aufmerksamkeit sicher. Seine scheinbare Sachlichkeit kommt bei vielen Lesern an, dabei blendet Sarrazin alles aus, was nicht in sein vorgefasstes Weltbild passt. All die Zahlen, Zitate und Statistiken, die Sarrazin anführt, dienen am Ende nur dazu, seine Vorurteile und seine Abneigung gegenüber Muslimen zu bestätigen.

 

Zunächst einmal ist aber seine Ausgangsfrage, was die Religion des Islam mit den von Muslimen verübten Gewalttaten zu tun hat, angesichts des Weltgeschehens durchaus nachvollziehbar. Auch die Frage, welche Rolle der Islam für das geringere Bildungsniveau, die politische Instabilität und die wirtschaftliche Rückständigkeit vieler islamischer Länder spielt, ist legitim und wird von vielen Muslimen selbst diskutiert. Doch sein Anspruch, sich dem Thema „sine ira et studio“, also nüchtern und unvoreingenommen zu widmen, erweist sich rasch als leere Behauptung.

Sarrazins Anspruch ist absurd

Seine Studien beginnt Sarrazin mit der Lektüre des Koran. Das ist löblich, doch sein Anspruch, ohne Arabisch-Kenntnisse und theologische Vorbildung so die Kernbotschaft des Islam bestimmen zu können, ist absurd. Sarrazin selbst erkennt an, dass der Text komplex, mehrdeutig und schwer auslegbar ist, maßt sich dann aber an, ihn unter Missachtung des historischen Kontextes in wenigen Sätzen zusammenzufassen. In seiner Auslegung sind die drei Kernaspekte des Koran: Hass auf Ungläubige, Aufrufe zur Gewalt und eine Obsession mit Sexualität.

Dies ist ein Zerrbild, das mehr über Sarrazins Vorurteile als über den Koran oder den Glauben der Mehrheit der Muslime sagt. Ähnlich widmet er sich nach dem Koran der Geschichte und Kultur der islamischen Länder. Seine Darstellung ist voller faktischer Fehler und offenbart einen geradezu böswilligen Drang, den Muslimen alles Positive abzusprechen. Wenn er nicht nur die Existenz einer eigenständigen islamischen Architektur bestreitet, sondern den Muslimen auch jede künstlerische Leistung abspricht, ist das schon von verblüffender Ignoranz und Borniertheit.

Strikte Trennung der Völker

Das ganze Ausmaß seiner eurozentrischen Perspektive zeigt sich, wenn er allen Ernstes den Mangel an Sinfonieorchestern als Beleg für die kulturelle Rückständigkeit der islamischen Welt anführt. Ihm geht offenkundig nicht in den Kopf, dass es einen anderen Begriff von Schönheit und Kultur geben kann als in Europa. Weniger fragwürdig sind seine Darlegungen zu den Bildungsdefiziten in der islamischen Welt und dem Mangel an Forschung, Innovation und technologischer Entwicklung. Dies sind unbestreitbar Probleme, wenn auch keine, die auf die Muslime beschränkt sind.

Nicht nur deshalb erscheint seine Grundthese fragwürdig, wonach alle sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme der Muslime auf den Islam zurückgehen. Doch selbst wenn der Islam eine derart prägende Rolle hätte, würde man gerne erfahren, was die Lösung wäre. Eine Abkehr aller Muslime von ihrer Religion und Kultur kann es nicht sein. Doch an Lösungen ist Sarrazin nicht wirklich interessiert, geht es ihm doch weniger um die Gestaltung des Miteinanders als darum, einer strikten Trennung der Völker und einem Zuzugsstopp für Muslime das Wort zu reden.