Von Mitte 2017 an wird die Handynutzung im europäischen Ausland nicht mehr teurer sein als im Inland und die Netzneutralität europaweit garantiert. Angesichts vieler Schlupflöcher sehen Kritiker aber auch Nachteile auf die Verbraucher zukommen.

Brüssel - Zehn Jahre nachdem die Europäische Union mit der Preisregulierung von Handytelefonaten im Ausland begonnen hat, wird das sogenannte Roaming abgeschafft. Vom 15. Juni 2017 an werden keine Zusatzgebühren mehr fällig, wenn in anderen EU-Staaten das Mobiltelefon benutzt wird. Die Kosten für Anrufe, SMS oder Daten erscheinen dann als Teil des normalen Verbrauchs auf der Rechnung. Als Zwischenschritt sinken im kommenden Jahr die Preise. Das haben die Verhandlungsführer der EU-Regierungen wie des Europaparlaments in der Nacht zu Dienstag vereinbart. Der nach knapp drei Jahren Gesetzgebungsprozess ausgehandelte Kompromiss muss noch vom Plenum aller Abgeordneten und allen europäischen Regierungen formal bestätigt werden.

 

Ursprünglich hatte das Parlament ein Aus für das Roaming bereits für 2015 gefordert, während die EU-Staaten erst 2018 überhaupt darüber reden wollten – vor allem die Urlaubsländer Spanien, Italien und Frankreich hatten Rücksicht auf die Profite ihrer Mobilfunkfirmen nehmen wollen. Dass diesen durch die bestehende Regelung auch Gewinne durch die Lappen gehen, war das Argument der Gegenseite gewesen: Schließlich hat eine Eurobarometer-Umfrage im vergangenen Jahr ergeben, dass mehr als die Hälfte der Smartphone-Besitzer die mobile Datennutzung im EU-Ausland aus Furcht vor hohen Kosten – trotz bereits gesunkener Preise – ganz ausschalten. Das soll sich nun ändern. „Die große Roaming-Abzocke“, sagte Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Parlamentsfraktion, „kommt endlich zu einem Ende.“

Die roaminglose Freiheit gilt aber nicht uneingeschränkt. „Um Missbrauch zu verhindern“, heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission, wird die Auslandstelefonie zum Inlandspreis gedeckelt. Es wird also nicht möglich sein, sich eine SIM-Karte in einem EU-Land mit billigeren Preisen zu kaufen und zu diesen dauerhaft im eigenen Land zu telefonieren. Die EU-Kommission wurde beauftragt, die maximal zulässigen Gesprächszeiten und Downloadmengen bis nächstes Jahr festzulegen.

Bei der Netzneutralität liegen die Meinungen weit auseinander

Als viel größeres Ärgernis bezeichnet es der österreichische Grünen-Abgeordnete Michel Reimon jedoch, dass den Telekombetreibern im Gegenzug eine Kostenerhöhung im Inland erlaubt werden soll, wenn durch die neue Roamingregeln übermäßige Verluste entstehen. „Die Beweislast, dass so ein Zuschlag nicht notwendig ist, liegt bei den staatlichen Regulierungsbehörden“, kritisiert Reimon: „Zahlreiche Regierungen wollen Roaming nicht abschaffen und werden entsprechend entscheiden.“ Auch der Dachverband der europäischen Verbraucherzentralen spricht daher von einem „wenig ehrgeizigen“ Kompromiss. „Wir können bei solchen Ausnahmen nicht von einem Ende des Roamings sprechen“, teilte dessen Chefin Monique Goyens mit.

Noch weiter gehen die Meinungen bei der sogenannten Netzneutralität auseinander, die ebenfalls Teil des sogenannten Telekompakets ist. Erstmals wird im europäischen Recht der Grundsatz verankert, dass Daten im Internet gleich behandelt, nicht blockiert oder verlangsamt und auch keine Nutzer schlechtergestellt werden dürfen als andere. Blockiert werden darf der Zugang nur etwa, um Cyberattacken zu verhindern. Damit, so EU-Digitalkommissar Günther Oettinger, „wird für jeden ein Qualitätsstandard im Internet garantiert“, da jeder Kunde von seinem Anbieter die versprochene Datengeschwindigkeit einfordern könne: „Die Vision einer Digitalunion wird damit zunehmend Realität.“

Die Kritiker sehen das ganz anders. Ihre Kritik richtet sich vor allem auf die Regelungen zu sogenannten Spezialdiensten, die einen Teil der Internetkapazitäten belegen dürfen. Laut Oettinger gilt diese Ausnahme „nur für Dienste im öffentlichen Interesse“. Er nannte als Beispiele live im Netz übertragene Operationen oder Notrufdienste. Dagegen werden im neuen Gesetz klargestellt, so der deutsche Kommissar, dass „parallele Dienste wie Internet-TV nicht zu Lasten anderer Internetnutzer gehen dürfen“. In einer Mitteilung seiner Behörde heißt es: „Solche Dienste können also nicht als Ersatz des offenen Internets angeboten werden, sie können nur zusätzlich angeboten werden.“

Der Grüne Reimon kritisiert, dass damit überhaupt eine Art von geschlossenem Internet eingeführt werde, da die angeblich notwendigen öffentlichen Dienste bisher über Standleitungen oder im Falle der Funktelefonie über eigene Satellitensysteme betrieben würden: „Die Unternehmen müssen also künftig nur noch eine Infrastruktur anbieten. Darin wird es nur im offenen Teil neutral zugehen.“ Er bezieht sich in seiner Kritik auch auf das sogenannte „Zero-Rating“. Ein Beispiel dafür sind die Spotify-Tarife der Deutschen Telekom. Die großen Datenmengen des Musikstreamingdienstes werden nicht mit den Datenmengen des Normaltarifs verrechnet. Die Sorge von Kritikern wie Reimon besteht nun darin, dass nur große Unternehmen wie eben Spotify, Facebook oder Google sich solche Zusatzdienste bei Telekomanbietern werden leisten können, diese dadurch bevorzugt werden und der Aufstieg kleiner Firmen dadurch verhindert wird. Die EU-Kommission behauptet das glatte Gegenteil: „Die Möglichkeit, innovative Dienste in höherer Qualität anbieten zu können, ist entscheidend für die europäischen Start-ups und wird die Online-Innovationen in Europa beschleunigen.“

Der Kommissar verteidigte den Kompromiss auch gegen jene Stimmen, die den jüngsten Vorstoß in den USA zu Gunsten „echter“ Netzneutralität als Vorbild feiern. Dieser werde frühestens in einem Jahr Gesetz und könne sich im Gesetzgebungsprozess noch verändern. „Damit ist Europa Amerika voraus“, sagte Oettinger.