Es ist die wohl am besten gesicherte Bibliothek der Welt: das Vatikanische Archiv. Zum ersten Mal kann man jetzt Dokumente des Archivs besichtigen.

Rom - Ach, das Vatikanische Geheimarchiv. Verborgen im Gewirr endloser Korridore, tief unter der Erde, enthält es die Wahrheit – die einzig wahre Wahrheit – über alle Verschwörungen dieser Erde. Nur ein paar Eingeweihte, geschult von Dan Brown, haben dort Zutritt, und nachts bei Vollmond raffen die Dunkelmänner von heute hinter jahrhundertealten Spinnweben jene unfehlbaren Formeln an sich, die die Welt retten oder zerstören, ganz nach Geschmack. So weit die Karikatur. In Rom enthüllt sich das Archiv des Vatikans jetzt „als das, was es ist: als Hüter der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche, sowohl in den Zeiten, in denen die Kirche die Welt war, als auch danach“.

 

So formuliert es Sergio Pagano, der Präfekt des Archivs. Seinen Anspruch erhebt er zu Recht: Im Archivium Secretum der Päpste ist Weltgeschichte zusammengetragen. Hundert Schlüsseldokumente daraus blättern der Vatikan und die Stadt Rom nun gemeinsam auf. Die bis Anfang September laufende Ausstellung „Lux in Arcana“ – „Licht in die Geheimnisse“ – verspricht in der italienischen Hauptstadt der Touristenmagnet des Jahres zu werden.

Gründung vor 400 Jahren

Dabei ist das Archivium Secretum nur so geheim, indem es wie jede „Sekretärin“ ist – die zwar immer einiges für sich behält, aber dennoch eine öffentliche Figur ist. „Geheim“, das ist die eingebürgerte, aber irreführende Übersetzung eines Wortes, das ursprünglich das Archiv des Papstes als „privat“ kennzeichnen sollte. Seit 1881 dürfen Historiker jedweder Nationalität und Religion in den vatikanischen Akten stöbern, sofern sie ein abgeschlossenes Studium und einen konkreten Forschungsauftrag in der Tasche haben.

Ob sie etwas finden, ist eine andere Frage – und, in heiklen Fällen, eher vom Zufall abhängig als von den Machenschaften irgendwelcher Leute, die etwas vertuschen wollen. Anfangs, bei seiner Gründung vor 400 Jahren auf 200 Regalmeter Platz berechnet, ist das Archiv bis heute auf 85 Kilometer angeschwollen. Es umfasst nicht nur die gesamten Akten der Kurie und der päpstlichen Diplomatie. Hinzugekommen sind im Lauf der Zeit 600 weitere Archive aus der Engelsburg, aus Abteien, Diözesen, Adelshäusern.

Nur durch Zufall gefunden

Zu unterschiedlichen Zeiten und unter sehr verschiedenen Kriterien abgelegt, fehlt dem Aktenbestand eine Gesamtsystematik, von einem Zentralkatalog ganz zu schweigen. „Auf mehr als 2000 Suchinstrumenten“, so sagt es ein Angestellter, müssen Forscher spielen können. Und glaubt man der Historikerin Barbara Frale, die nur durch Zufall den päpstlichen Freispruch für die geheimnisumwitterten Tempelritter von 1308 aufgespürt hat, dann leidet das Vatikanische Archiv bis heute an der napoleonischen Plünderung von 1810 – oder besser: an der ebenso chaotischen wie lückenhaften Rückkehr der gefledderten Papiere fünf Jahre danach.

Kein einziges Dokument ist geheim

Von den Dokumenten, die nun in den Kapitolinischen Museen ausgestellt sind, ist kein einziges geheim oder vom Inhalt her neu. Dass Martin Luther verbannt, Galileo Galilei von der Inquisition verurteilt und der Ketzer Giordano Bruno verbrannt worden sind, das weiß man – aber die Originalakten zu sehen mit den eigenhändigen Unterschriften eines Galilei oder eines Kaiser Karl V., das ist etwas anderes.

Geradezu bedrohlich stoßen die Prozessdokumente gegen die angeblich ketzerischen Tempelritter in den Raum: Von der 56 Meter langen Pergamentrolle sind gut zehn Meter abgerollt. In gestochen scharfer Schrift mahnt Michelangelo den Lohn für seine arbeitslosen Steinmetze am Petersdom an; Marie Antoinette schreibt herzzerreißend aus ihrem Kerker, und garniert mit massiven Siegeln machen die englischen Lords – 1530 war das – Druck auf den Papst, er solle endlich der Scheidung König Heinrichs VIII. zustimmen.

„Dictatus Papae“

Und da sind alle jene Erlasse, mit denen frühere Päpste ihren Anspruch auf Weltherrschaft erhoben haben: der „Dictatus Papae“ von Gregor VII. beispielsweise – jenes Papstes, der König Heinrich IV. 1077 nach Canossa zwang – oder die Bulle „Unam Sanctam“ von 1302, in der sich Papst Bonifaz VIII. das Recht anmaßte, jedweden König auf Erden abzusetzen.

Mit diesen Dokumenten aber geht der Vatikan heute geradezu selbstironisch um: Ausgestellt wird auch die berühmt-berüchtigte „Konstantinische Schenkung“, das Grunddokument päpstlich-politischer Machtansprüche – aber ausdrücklich in Form eines Prunkbands aus dem 16. Jahrhundert: da war diese antik-kaiserliche „Schenkung“ längst als Fälschung entlarvt. Die Ausstellung bricht allerdings genau dort ab, wo die bis heute „geschlossene Periode“ des Archivs beginnt: beim Pontifikat Pius’ XII. 1939.

Die offizielle vatikanische Sicht der Dinge

Sie spart alles aus, was mit der päpstlichen Haltung zu Nazideutschland und zur Judenvernichtung zu tun hat. Ein Brief ist zu sehen, in dem sich ein Rabbiner für die päpstliche Verteilung von Hilfsgütern in einem italienischen Konzentrationslager bedankt. Das entspricht der offiziellen vatikanischen Sicht der Dinge, aber das war’s dann schon. „In ein, zwei Jahren“, sagt der Präfekt Sergio Pagano, könnte das Vatikanische Archiv den Forschern auch die interessanten Akten aus jener Zeit öffnen: „Wir bereiten derzeit alles dafür vor, aber genehmigen muss es der Papst.“

Eine auch technisch opulente Schau – und in der Summe durchaus gelungen. Man wünscht den Ausstellungsmachern viele Besucher – den Besuchern allerdings ganz wenige Gleichgesinnte. Denn die gezeigten Akten und die erklärend gut begleitenden Bildschirme sind meist recht klein und stark umdrängt, und nicht einmal der Hauch der Weltgeschichte, der nun machtvoll durch die Hallen weht, kann deren schwache Belüftung ausgleichen.

Bis 2. September, Rom, Kapitolinische Museen. Informationen unter www.luxinarcana.org