Wer den S-Bahn-Alltag wirklich kennen lernen will, sollte nicht nur auf Bilanzen der Deutschen Bahn und des Verbands Region Stuttgart blicken. StZ-Redakteur Thomas Durchdenwald begibt sich im Selbstversuch auf eine 142-minütige Dienstreise.
Stuttgart - Für S-Bahn-Fahrgäste ist es ein ganz normaler Nachmittag. Der VVS vermeldet auf seiner Internetseite: „Uns liegen zurzeit keine Informationen von den Verkehrsunternehmen über Beeinträchtigungen vor.“ Das Onlineportal S-Bahn-Chaos verschickt seinen S-Bahn-Warner über Twitter: die Verspätungen auf den sieben Linien pendeln zwischen einer und zwei Minuten. Nur für die Frau einige Sitzreihen weiter vorne scheint es ein besondere Tag zu sein. Sie sei jetzt bei einem wirklich guten Arzt gewesen, ruft sie in ihr Handy hinein, und endlich wisse sie, warum sie immer so müde und niedergeschlagen sei. Wenig später wissen es auch die gut zwei Dutzend Fahrgäste im gen Böblingen ratternden S-Bahn-Wagen „Meine Werte stimmen nicht“, sagt sie in ihr Handy.
Neue Einblicke für den Gelegenheitsfahrgast
Wer den S-Bahn-Alltag kennen lernen will, sollte nicht nur auf die Zahlen über Pünktlichkeit, Sauberkeit und Sicherheit blicken, wie sie die Deutsche Bahn und der Verband Region Stuttgart am Donnerstag vorgelegt haben. Selbst der Gelegenheitsfahrgast bekommt neuen Einblicke, wenn er eine mehr als zweistündige S-Bahn-Tour de Region absolviert: von Stuttgart-Vaihingen mit der S 1 nach Böblingen, von Böblingen mit der S 60 über Renningen nach Zuffenhausen, von dort mit der S 5 nach Ludwigsburg und dann retour zum Hauptbahnhof, ehe es mit der S 2 nach Waiblingen und von dort über Bad Cannstatt mit der S 1 nach Esslingen geht. In der alten Reichsstadt am Neckar ist nach fahrplanmäßigen 142 Minuten Ende der besonderen Dienstfahrt.
Die Heizung läuft bei offener Tür
Im neuen ET 430 – mit abgeschaltetem Schiebetritt – geht es am Vaihinger Bahnhof los. Schick sieht er innen aus, doch wer kann das richtig würdigen, wenn die Frau über Blutdruck, Leukozyten und ähnliches spricht und man sich nicht wie andere mit Ohrstöpselmusik aus dem Handy abschotten kann. Was haben die Leute früher ohne Handy gemacht? Am Bahnhof Böblingen steht die S 60 am Ende (oder am Anfang, ganz wie man will) des Bahnsteigs – ein Hinweis, wohin der alte ET 420 fährt, ist am Wagen nicht angebracht. „Das gibt es doch nicht“, sagt ein Frau, die aus dem Schwarzwald kommt und nach Leonberg will. Andere Fahrgäste beruhigen sie, sie sitze im richtigen Zug. Eine Viertelstunde später wird im Bahnhof Renningen aus der S 60 automatisch die S 6, die nach einer Pause weiterfährt in Richtung Stuttgart-Stadtmitte. Die Türen stehen sechs Minuten offen, unter dem Sitz bläst die Heizung mit warmer Luft erfolglos gegen die Kälte an.