Lokalpolitiker rätseln über die Eile, mit der die neue Regel für Spielhallen und Bordelle erlassen werden soll.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Das Rätsel beginnt mit einer Ausnahme: „Ausnahmsweise zulässig wird für mich das Wort des Jahres“, sagt Michael Scharpf, „ich versteh’ nur noch Bahnhof“. Am Bildungsgrad des Christdemokraten kann das nicht liegen. Scharpf ist Professor.

 

Er ist keineswegs der einzige im Bezirksbeirat Mitte, der mit dem sogenannten Vergnügungsstättenkonzept der Stadt Verständnisprobleme hat. Das Wort ausnahmsweise ist dafür nur der geringste Anlass. Anders als im Sprachgebrauch, ist bei der Genehmigung von Spielhallen oder auch Bordellen die Ausnahme eher die Regel. Im Wörterbuch der Verwaltungsjuristen bedeutet ausnahmsweise: Die Stadt verfügt als Ausnahme, das Eröffnen einer Spielhalle im Erdgeschoss eines Hauses zu verbieten, aber im Gegenzug muss sie den Betrieb in jedem anderen Stockwerk desselben Hauses erlauben.

Warum das so ist, erklärt Hermann-Lambert Oediger den Lokalpolitikern. Er ist Abteilungsleiter beim Stadtplanungsamt. Und der Amtmann hat es ungewöhnlich eilig. Noch an diesem Abend muss ein Beschluss über die Stätten des Vergnügens gefällt sein, zu denen neben Spielhallen und Bordellen Wettbüros und Diskotheken gehören. Ansonsten, sagt Oediger, gebe es keine Möglichkeit, einen Antrag auf eine Spielhalle am Olgaeck abzulehnen. Weshalb die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle über „hektisches Rumgetue wegen einer einzigen Spielhalle“ rätselt. Um die 60 Daddelhallen werden bisher bereits in der Stadtmitte betrieben, in Stuttgart insgesamt sind es rund 130.

Im vorderen Teil dürfte ein Wettbüro oder eine Spielhalle eröffnet werden

Diejenige, die verhindert werden soll, gehört schon zu den Vergnügungsstätten. Der Betrieb dort ist vor einem Jahr eröffnet worden, ein Wettbüro – und zwar ein illegales. Davon abgesehen, ist es das erklärte Ziel des städtischen Konzepts, eben in der Stadtmitte Spielhallen und Bordelle zu konzentrieren, um andere Stadtbezirke von ihnen frei zu halten. „Wir können uns nur noch die Farbe des Sarges aussuchen“, sagt der Liberale Christian Wulf. Um wenigstens keine Antragsflut für neue Spielhallen auszulösen, sollen zwischen den Betrieben mindestens 105 Meter Abstand gelten. Allerdings kippte schon der Versuch vor Gericht, einen Abstand von 90 Meter festzuschreiben. Dem 105-Meter-Passus wird in naher Zukunft ebenfalls an höherer Stelle widersprochen. Im Landtag ist ein Gesetz in Arbeit, das Anfang nächsten Jahres in Kraft treten soll. In dem Paragrafenwerk soll ein Abstand von 500 Meter festgeschrieben sein.

Damit wäre jede Diskussion hinfällig – im Stadtzentrum dürfte keine einzige Spielhalle mehr eröffnen. Allerdings wollen die Stadtplaner die Vorgabe des Landes vorsorglich ignorieren, weil „es ernst zu nehmende Stimmen gibt, die sagen, dass das Gesetz vor dem Verfassungsgericht nicht standhalten wird“, sagt Oediger. Diese Stimmen erheben im Landtag die Liberalen, die das neue Glücksspielgesetz grundsätzlich ablehnen, allen voran der ehemalige Justizminister Ulrich Goll.

Aus anderem Grund fragt sich der Sozialdemokrat Manuel Krauß, „warum ich mich überhaupt mit dem Konzept befassen soll“. Die Grenzen, in denen die Stätten des Vergnügens erlaubt sein sollen, sind bemerkenswerte. Gemäß der Planskizze dürfte im vorderen Teil der Stiftskirche ein Wettbüro oder eine Spielhalle eröffnet werden, im hinteren nicht. Die Trennlinie verläuft mitten durch das Gotteshaus.

Weitere Debatten sind notwendig

Im Vergleich zur Leonhardskirche ist das durchaus noch christlich. Das Rotlichtgewerbe dürfte sie vollständig zum Bordell umwidmen. Gleiches gilt auch für das Gustav-Siegle-Haus. Dagegen ist der Marktplatz den Planern ehrwürdig genug, um ihn als weißen Fleck im Zentrum des Vergnügens einzuzeichnen, das im Plan feuerlöscherrot markiert ist. Allerdings tatsächlich nur der Marktplatz selbst – in den Häusern an seinem Rand darf sich das Glücksspielgewerbe niederlassen. Derlei Denkwürdigkeiten begründet Oediger mit der Eile, in der die Pläne entworfen wurden, um eben jene einzelne Spielhalle verhindern zu können.

Dass weitere Debatten über das Konzept vonnöten sein dürften, ist nicht nur offenkundig, sondern bereits beschlossen. Noch während der Sitzung des Bezirksbeirats gründete Oediger einen Arbeitskreis, an dem sich Lokalpolitiker aller Fraktionen beteiligen sollen. Ungeachtet dessen ist im Gemeinderat „die grundsätzliche Fehlentscheidung gefallen“, sagt Kienzle. Diejenige eben, dass alle Stätten auch des zweifelhaften Vergnügens sich im Herzen der Großstadt zusammenballen sollen.