Stuttgart/Cancun - Beachvolleyball vermittelt ein Gefühl von Freiheit, Leichtigkeit, Eigenständigkeit – normalerweise. Denn aktuell geht es den Spezialisten für Sommer, Sonne und Strand genau so wie vielen anderen Athleten, die zu den Olympischen Spielen 2021 nach Japan wollen: sie befinden sich in einem Dilemma. Eigentlich schränkt die Pandemie ja alles ein, nicht aber die Qualifikationswettbewerbe für Tokio. Eigentlich wird von Reisen nach Mexiko ja abgeraten, doch ausgerechnet in Cancun finden in den nächsten zweieinhalb Wochen drei wichtige Vier-Sterne-Turniere statt. Eigentlich sollte die volle Konzentration ja dem Sport gelten, doch die Sorge, sich zu infizieren, spielt immer mit. „Ich will kein Corona, deshalb bin ich persönlich mit gemischten Gefühlen dorthin geflogen“, sagt die Stuttgarterin Karla Borger, die mit Julia Sude das derzeit stärkste deutsche Beachvolleyball-Duo bildet, „aber letztlich sind wir mehr oder weniger gezwungen, in Mexiko zu spielen.“
Im speziellen Fall von Borger und Sude hat das weniger damit zu tun, dass sie noch um die olympische Reise im Juli gen Japan bangen müssten. In der Qualifikationsrangliste sind die beiden vor ihrem Saisonstart bestens platziert, das Ticket nach Tokio haben sie so gut wie sicher. Doch sie wollen bei den Sommerspielen nicht nur dabei sein, sondern um die Medaillen kämpfen – und das geht nur, wenn die Form stimmt. „Wir brauchen Wettkampfpraxis, und das bei möglichst ähnlich hohen Temperaturen wie im Sommer in Japan“, erklärt Karla Borger, „es könnte aufgrund der Pandemie durchaus passieren, dass es nach der Serie in Mexiko keine weiteren Turniere mehr gibt. Wir wissen, dass wir ein gewisses Risiko eingehen, aber wir müssen es wegdrücken. Sonst könnten wir unseren Sport nicht ausüben.“
Rund 600 Leute aus der gesamten Welt des Beachvolleyballs zählen in Cancun zur Blase, in die erst hineindarf, wer doppelt negativ getestet worden ist: erst nach der Landung, dann noch einmal nach einer Wartezeit im Hotelzimmer. Es hört sich nach einem durchdachten Konzept an, ob es sich bewährt, wird sich in den nächsten zweieinhalb Wochen zeigen. Ähnliches ließe sich über den sportlichen Leistungsstand bei Borger/Sude sagen.
Die Leistungen im Training machen Hoffnung
Das Duo hat sich mit einem neuen Trainer auf die Olympia-Saison vorbereitet, und Thomas Kaczmarek hat einiges verändert. An ihrer Technik haben Abwehrspezialistin Borger und Blockerin Sude viel gearbeitet, aber auch drei harte Einheiten pro Woche im Kraftraum durchgezogen und athletisch noch einmal deutlich zugelegt. „Wir sehen Fortschritte, diese Entwicklung gibt uns sehr große Hoffnung“, sagt Karla Borger, „wenn wir den Beachvolleyball spielen, den wir uns angeeignet und im Training auch schon gezeigt haben, könnte es ganz gut werden. Jetzt müssen wir es nur noch abrufen.“ Und dabei nicht ungeduldig werden.
Weil der Formaufbau logischerweise auf die Olympischen Spiele ausgerichtet ist und Borger/Sude einige Elemente, in denen sie sich verbessern wollen, noch gar nicht angepackt haben, ist der eine oder andere Rückschlag nicht ausgeschlossen: „Jetzt in Mexiko werden wir ziemlich genau sehen, was uns noch fehlt.“ Um danach Schritt für Schritt in Richtung Tokio weitergehen zu können.
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Dass die Spiele stattfinden, daran hat Karla Borger wenig Zweifel („Das IOC und die Organisatoren werden es auf Biegen und Brechen durchziehen“), und sie will mit Julia Sude auch auf jeden Fall in Japan aufschlagen – obwohl bei ihr die Skepsis nicht zu überhören ist. Weil sie weiß, dass es völlig andere Olympische Spiele werden, als sie es 2016 mit ihrer damaligen Partnerin Britta Büthe in Rio de Janeiro erlebt hat. Und weil sie nicht weiß, wie infiziert der Sport in 100 Tagen sein wird. „Für alle Athletinnen und Athleten ist es nun erst mal enorm wichtig, ohne Infektionen und Quarantänemaßnahmen durch die Qualifikationen zu kommen“, sagt Karla Borger, die ziemlich sicher ist, dass das Virus auch die Wettbewerbe in Tokio beeinflusst: „Teilweise werden die Ergebnisse von Schnelltests über die Verteilung der Medaillen entscheiden.“ Was nur unterstreicht, wie groß das Dilemma ist, in dem sich der Sport derzeit befindet.