Die Salzburger Festspiele gehen in diesem Jahr mit dem neuen Intendanten Alexander Pereira an den Start. Prompt sind die Karten teurer, der Spielplan ist aber auch interessanter geworden.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Salzburg - Nach der Geschichte mit den Schreibmaschinen, auf die noch zu kommen sein wird, erzählt Alexander Pereira, gebürtiger Wiener, mittlerweile 65 Jahre alt und vom 20. Juli an offiziell Intendant der Salzburger Festspiele, am liebsten von der Sache mit dem Bonbonpapier. Wenn es sein muss . . . , und es muss eigentlich immer sein, weswegen er im Folgenden demonstrationshalber in die Hocke geht, ganz wie ein altgedienter Regisseur. „Bonbonpapiere hebe ich selber auch, wenn welche im Weg herumliegen“, sagt Pereira dann, bückt sich, wie gesagt, gärtnert gestisch am Boden herum und erreicht szenische Halbhöhe erst wieder punktgenau, wenn er mit der Pointe dran ist: „Für so etwas brauch ich keinen anschaffen.“

 

Er kann aber auch springen – und nicht zu knapp. Berühmt geworden an der Zürcher Oper, die er gute zwanzig Jahre geleitet hat, ist der Pereira’sche Postpremierenhüpfer, wenn die Sponsoren zusammen mit den Künstlern wahrlich informell hinter der Bühne standen: in der rechten Hand ein eiskaltes niederländisches Dosenbier, in der linken Hand eine Schüssel mit lauwarmem Kantinengeschnetzelten.

Mittendrin – muss man sich vorstellen – also zum Beispiel Signora Cecilia Bartoli, Sängerin, neben, sagen wir, Herrn Beat Zimmerli, Unternehmer, und vorne dran und mordslaut krähend Alexander Pereira, welcher der Frau Bartoli ihre tolle Kunst rühmte und dem Herrn Zimmerli sein tolles Kunstermöglichertum, fast im selben Atemzug und gerne auch genau den letzten hingespendeten Rappen benennend. „Ja, das ist doch toll!“, rief Pereira immer wieder, und sprang dann und rief noch mal, „Ist das nicht toll?“, bis alle, alle klatschten, und ja, das war es irgendwie lange Zeit unter diesem wohl größten Zampano aller Opernzirkusdirektoren: toll, toll, toll – mit zwanzig Premieren in der Saison, wo andere Häuser gerade mal sechs zusammenbringen; mit Spitzendirigenten, Spitzensängern und Spitzenregisseuren, Spitzengagen, Spitzenpreisen versteht sich (bis zu 380 Franken die Karte) und, siehe oben, Spitzensponsoren. Einmal sammelte der nimmermüde Pereira 12 Millionen Franken im Jahr ein, die gleich wieder reinvestiert wurden, damit die kleine Bonbonschachtel am Zürichsee, hübsch subventioniert vom Kanton obendrein, noch prächtiger werde: Covent Garden, Met und La Scala in einem – pereirassimo!

In Zürich war Pereira der große Zampano

Pereira ist Diplomatensohn, auf der einen Seite. Andererseits fanden die Eltern, der Bub solle erst mal was Gescheites lernen. Pereira stapelt die Story gerne etwas tiefer, wenn er sich historisch als Schreibmaschinenverkäufer outet, was er nicht war. Real gab er den Marketingchef von Olivetti, aber bitte: was Pereira beim Verkaufen gelernt hat, ist, dass man „zur Hintertür wieder reinkommen muss, wenn man vorne zum Ausgang gebeten worden ist“. Abwimmeln kann man ihn schlecht. Und wimmeln kann er wie keine anderer.

Schon einmal wäre er fast in Salzburg gelandet, das war 1989, als Herbert von Karajan starb und die Salzburger Society fürchtete, es sinke mit dem Kapitän auch gleich das ganze Schiff. Pereira schien teils ganz gut geeignet. Er hatte in Frankfurt (über die Schiene Bach) den Künstler in sich entdeckt und gelernt, wie man Konzerte organisiert. In Wien probte er von 1984 an einen ästhetischen Spagat, der zu dieser Zeit sonst keinem so leicht gelingen wollte: Er versöhnte Kunst mit Kommerz. Abenteuer, die anderen gefloppt wären, verkaufte Pereira wie Pauschalreisen. Einer seiner Berater war der relativ kompromisslose Dirigent Michael Gielen. Gleichwohl entschieden sie sich in Salzburg für Gerard Mortier und Hans Landesmann. Pereira, der die Oper erst noch lernen musste, nahm Kurs auf Zürich. Und das Haus im Sturm.

Zwei Jahrzehnte später ist die Stimmung dort vor allem retrospektiv gut, wiewohl aktuell nicht alles zum Besten steht. Erstmals in all den Jahren hat Pereira, der Wirbel-Wiener mit durchaus Beckenbauer’schen Zügen, finanziell Verlust gemacht – und auch die Auslastung (heuer bei knapp achtzig Prozent) war schon einmal viel besser in Zürich. Dafür hat Pereira in Salzburg das Mobiliar bereits erheblich bewegt, vorerst rein finanziell betrachtet: Der gewohnte Umsatz der Pfingstfestspiele von 550 000 Euro wurde schlankerhand verdoppelt, zudem sind die Karten für den Sommer, obwohl im Schnitt über 20 Prozent teurer, weggegangen wie nichts, und auch die Amerikaner, in den vergangenen Jahren kulturtouristische Mangelware in Salzburg, kommen wieder.

Viele Premieren, Uraufführungen und Projekte

Warum? Pereira hat dem Festival seine Premieren wieder gegeben und die Wiederaufnahmen gestrichen. Und man kann nicht sagen, dass er es sich da inhaltlich nur leicht machte: Mozart zum Beispiel lässt Pereira vom länger Salzburg-abstinenten Nikolaus Harnoncourt pflegen. Weiterhin stehen Bernd Alois Zimmermanns nicht unbedingt grundkulinarischen „Soldaten“ auf dem Programm – und Pereira lässt auch weniger mit Aplomb, sondern gewissermaßen mit Musik durchs Hintertürl beginnen: Den großen Premieren geht (von Freitag an) fast eine Woche mit geistlicher Musik voran, die woanders fast keiner mehr aufführt, weil sie schwer zu bezahlen ist. Die Reihe „Salzburg Contemporary“ wird weitergeführt, vier große Kompositionsaufträge für die nächsten Jahre (an Kurtag, Dalbavie, Ades und Wittmann) sind vergeben.

Für 2013 plant Pereira ein Spezialprojekt, das „El Sistema“ heißen soll. Aus Venezuela, wo Antonio Abreu dafür gesorgt hat, dass Jugendliche in großer Zahl ein Instrument lernen können, kommen tausend junge Leute: Orchester, Big Band und Behindertenchor. Das wird fast drei Millionen Euro kosten. Pereira hat sie längst akquiriert. Manchmal scheint das Kuratorium in Salzburg zu fürchten, es könne ihr Neuer darüber die anderen Großprojekte (2013 ist Verdi- und Wagner-, 2014 Richard-Strauss-Jahr) aus dem Blick verloren haben. Doch ist Planlosigkeit das Letzte, was man bei Pereira fürchten muss.

Allerdings hat er seine unsteten Momente, die auch in leichten Jähzorn kippen können, wenn nicht sofort klappt, was er gern schon gestern erledigt gehabt hätte. Pereira drohte in Salzburg unlängst noch vor dem Amtsantritt sofort mit Rücktritt, weil seine Leute in Salzburg, vom Bühnenarbeiter an, zu schlecht bezahlt sind. 56 Millionen Euro Budget hat er, 13,5 Millionen zahlt das Land Österreich. Den Österreichern sind die Salzburger Festspiele als nationales Aushängeschild oft genug. Pereira denkt in anderen Maßstäben. Für ihn sind die Salzburger Festspiele „ein Weltfestival“. Bonbonpapiere vor der Feststiege wird er trotzdem auflesen. Und auch ein Luftsprung sollte drin sein.