Die Regisseurin Andrea Breth inszeniert bei den Salzburger Festspielen das Kleist-Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ als dunkles Traumspiel aus Verzweiflung und Ekstase. Auf Dauer wird aber selbst das ein wenig ermüdend.

Salzburg - Fehrbellin. Ein Garten im altfranzösischen Stil. Im Hintergrund ein Schloss. So sieht, auch wenn sich die Nacht schon tief über Garten und Schloss gelegt hat, der prachtvolle Schauplatz aus, den Heinrich von Kleist für seinen Dramenauftakt entwirft. Mitten in diese gepflegte Kulturlandschaft pflanzt er den Titelhelden Prinz Friedrich von Homburg, der „halb wachend, halb schlafend unter einer Eiche“ sitzt und sich einen Kranz windet. Eine Idylle, zwar merkwürdig somnambul, aber immerhin: Kleist lässt Blumen und Bäume, Brunnen und Hecken im Dunkel erahnen, als Schemen einer Sommernacht und – mehr noch – als Verheißung eines Prinzenglücks, das dereinst mit Siegerlorbeer bekränzt wird.

 

Ja, so legt es der Dichter in seiner Szenenanweisung nahe, der man im Salzburger Landestheater nun freilich gar nicht folgt. In aller Konsequenz und Radikalität unterläuft Martin Zehetgruber die Kleist-Idylle. Bei ihm grüßt kein lieblicher Garten mehr, bei ihm droht nur noch das unermessliche Grauen. Ein Heer verkohlter Baumstümpfe lässt der Stuttgarter Bühnenbildner in die Düsternis ragen, ein von Nebelschleiern und Rauchschwaden durchwogtes Schlachtfeld ist zu sehen, das in seiner Gespenstigkeit auch eine Hölle auf Erden ist. „Prinz Friedrich von Homburg“ als apokalyptische Todesfuge – muss man sich wundern?

Nein, muss man nicht. Es ist Andrea Breth, die Kleist bei den Salzburger Festspielen inszeniert – und seit je ist diese philologisch aufs Genaueste arbeitende Regisseurin eine Fachfrau fürs Dunkle und Verzweifelte. Selbst aus Komödien macht sie unter der Hand kleine Tragödien, was ja keineswegs lustig ist, am allerwenigsten für die Regisseurin selbst. Es gibt in ihrer Zunft niemand, der sich mit so leidenschaftlichem Schmerz in Dramentexte versenkt wie Breth, niemand, der mit allen Fasern so unendlich tief in Ozeane aus Wörtern, Sätzen und Szenen abtaucht, dass das Auftauchen danach nicht immer gelingt. Dann sagt Breth auch mal eine Inszenierung ab.

Am Ende lässt die Regisseurin den Helden einfach sterben

Aber wenn sie ein- oder zweimal im Jahr doch auftaucht und inszeniert, hält sie in ihren Forscherhänden oft den lange verschollenen Kern eines Dramas in Händen. Und dass dieser Kern bei einem Extremisten wie Kleist, der sich 1811 aus dem Leben geschossen hat, noch dunkler und verzweifelter ist als bei anderen Autoren, versteht sich von selbst. Also lässt Breth, entgegen der Textvorlage, den Prinzen von Homburg am Ende auch einfach sterben.

Wovon handelt das Drama, das Kleist kurz vor seinem Suizid vollendet hat? „Prinz Friedrich von Homburg“ handelt von einem Traum des Titelhelden, der am Ende Wirklichkeit wird. Ein Traum von Liebesglück und Schlachtenruhm, der allerdings so übermächtig wird, dass er den Prinzen zeitweilig aus der Wirklichkeit und der militärischen Disziplin katapultiert. Preußen befindet sich im Krieg mit Schweden – und statt auf den Einsatzbefehl des Kurfürsten zu warten, prescht der von Zukunftsverheißungen euphorisierte Homburg mit seiner Reiterarmee eigenmächtig los und bezwingt zwar den Feind, macht sich zugleich aber der Befehlsverweigerung schuldig. Der Kurfürst bestraft ihn zunächst mit dem Tod, lässt dann aber doch Gnade walten: im Rahmen einer Inszenierung nachts im Park, worin just das, was der Prinz am Tag zuvor im Schlaf gesehen hat, wahr wird. Nicht nur Ruhm wird ihm im Finale zuteil, sondern auch Glück in Gestalt der Prinzessin Natalie.

Das extrem Äußere und das extrem Innere

Wenn aber der Traum derart von der Wirklichkeit eingeholt wird, dann hat der Traum notwendigerweise einen Vorsprung gegenüber dieser Wirklichkeit gehabt. Anders gesagt: dann war der Traum also von Anbeginn an wahrer als die Wirklichkeit, in der er geträumt wurde. Das zumindest glaubt nun Kleist, der im „Prinzen von Homburg“ das extrem Äußere, den Krieg, mit dem extrem Inneren, der im Herzen gefühlten, im Traum sich vorab erfüllenden Liebe aufs Kühnste miteinander verschränkt. Ein harter Brocken für jeden Regisseur – und Breth, so scheint’s, widmet sich in ihrer vom Nachtseitigen unterwanderten Inszenierung mit Hingabe den unauslotbaren Abgründen des Innern.

In der Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater verfügt die Regisseurin über ein Starensemble. August Diehl spielt den Homburg – und er spielt ihn so präzise, dass er imstande ist, die enorme Bedeutungslast dieser Aufführung halbwegs zu tragen. Im Schlossgarten, der ein Schlachtfeld ist, sitzt er mit offenem Hemd, barfuß und wie in Trance unter einem verkohlten Baumstumpf. Und so, wie er aus seinen Träumen nur mühsam in die Wirklichkeit zurückfindet, verhält es sich auch, als ihm später vom Kurfürsten und seinen Generälen der Schlachtplan erläutert wird. Mit offenem Mund und stierem Blick sieht er nur seine Natalie – unheimliche Absencen, die an Unheimlichkeit und Dämonie noch gewinnen, wenn er unmittelbar vor der Schlacht einem seiner Getreuen an die Gurgel geht. Der Getreue will den Prinzen davon abhalten, den kurfürstlichen Befehl zum Losschlagen zu missachten – da schlägt Diehl/Homburg los, haut seine Zähne in Hals und Gesicht des vermeintlichen Feiglings, ein ekstatischer Ausbruch der Gewalt, der nicht zuletzt beglaubigt, was als These im Programmheft zu lesen ist: Kleists Figuren stürzen in der Radikalität ihrer Innenschau aus sich heraus, sie geraten – im Wortsinne – außer sich und sind schließlich zu allem fähig.

Im Schloss regiert scheinbar die Vernunft des Tages

Das ist bei Kohlhaas so, das ist bei Penthesilea so. Und das ist jetzt auch beim Homburg so, Kleists Alter Ego, das Andrea Breth am Ende ins Nichts stürzen lässt. August Diehl bei seinen irritierenden Absencen und Ekstasen zu verfolgen ist aufregend. Weniger aufregend ist dann aber doch, wie die Regisseurin die anderen Schauspieler durch das Albtraumspiel führt, das neben dem schwarzen Schlachtfeld noch weitere Schauplätze kennt: die mit Neonlicht grellweiß erhellten Schlosszimmer, in denen scheinbar die Vernunft des Tages regiert. Dort waltet der Kurfürst des Peter Simonischek und die Kurfürstin der Andrea Clausen. Clausen wirkt immerhin so furchtsam zögernd, so geheimnisvoll lauernd, als habe auch sie schon mit Schaudern in die Tiefe der Menschenseele geblickt. Simonischek und seine Militärs aber sind in ihren Uniformen wenig mehr als schwarze Todeskrähen. Für ihre Figuren interessiert sich die Regisseurin leider nicht allzu sehr. Und das macht ihre Todesfuge auf Dauer doch auch sehr ermüdend.