Martin Bühler hat jahrelang als Samenspender gejobbt und ein Buch darüber geschrieben. Es wirft ein grelles Licht auf ein gesellschaftliches Dilemma.
Berlin - Er sagt, es sei eine der schönsten Begegnungen seines Lebens gewesen. Aber auch eine der traurigsten. Da lief ihm dieses Mädchen entgegen, das er vor zehn Jahren gezeugt und das er seither noch nicht ein einziges Mal gesehen hatte. Und es begegnete ihm so offen und vorurteilsfrei, wie das vielleicht nur Kinder können: „Hi, ich bin Sophie.“
Martin Bühler sagt, ihm seien Tränen übers Gesicht gelaufen. In diesem Moment sei ihm zum ersten Mal bewusst geworden, auf was er sich da eingelassen hatte, als er Sophies Mutter und ihrer lesbischen Partnerin sein Sperma spendete. So konnten sich die Frauen den Traum vom eigenen Kind erfüllen. „Samenspenden, das ist sehr, sehr viel mehr als Onanieren in einen Plastikbecher.“
Für den Studenten war es ein Abenteuer, das süchtig macht
Der heute 44-Jährige hat jahrelang als Samenspender gejobbt und ein Buch darüber geschrieben. Es heißt „Meine 100 Kinder“. Der Titel klingt ziemlich reißerisch, so, als habe sich der Autor einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde sichern wollen. Dabei, so sagt Bühler, seien es in Wirklichkeit wohl nur fünfzig bis achtzig Kinder gewesen. Und nein, damit anzugeben, liege ihm fern. Es verbietet sich eigentlich auch von allein, denn inzwischen ist er Vater einer 13-jährigen Tochter, und er hat das Buch unter seinem richtigen Namen veröffentlicht. Er sagt: „Ich bin mir sicher, dass die Welt weder schlechter noch besser geworden ist durch die Weitergabe meiner Gene.“
Dennoch rauft man sich die Haare, wenn man sein Buch liest. Er sagt, der Job habe ihn süchtig gemacht. „Das ist wie mit Blind Dates. Du weißt nicht, wen Du triffst. Das war jedes Mal ein Abenteuer.“ Obendrein eines, für das er bezahlt wurde. Ein Nebenjob, so sieht er es noch heute. „Andere haben während des Studiums für 450 Euro an der Tankstelle gearbeitet, ich habe eben Samen gespendet.“
Kann man den biologischen Vater vom sozialen Vater trennen?
Doch zwischen Privatleben und Job zu trennen, das fiel ihm immer schwerer. Mal riefen ihn alleinstehende Frauen kurz vor der Geburt an. Ob er nicht doch dabeisein könne? Mal musste er ihnen erklären, dass er die Kinder einmal, höchstens zweimal treffen würde. So hatte er es vertraglich geregelt. Er sei eben nur der biologische Vater, nicht der soziale.
Doch kann man das eine wirklich vom anderen trennen? Der Verein Spenderkinder e.V., eine Selbsthilfegruppe von Menschen, die durch Samenspende gezeugt wurden, hat daran erhebliche Zweifel. Er hat den Gesetzgeber aufgefordert, Samenspender müssten über ihre „psychosoziale Verantwortung“ aufgeklärt werden. Außerdem müsse es ein Limit geben. „Bei zehn bis 15 Kindern ist es sicherlich möglich, alle Kinder zu treffen. Bei hundert Menschen wird es schon ziemlich unübersichtlich und bekommt auch den faden Beigeschmack der Massenproduktion. Wer hat schon 99 Halbgeschwister?“
Frauen suchen auf eigene Faust Samenspender
Bühlers Buch wirft ein Licht darauf, was passieren kann, wenn die Gesetze der gesellschaftlichen Realität hinterherhinken. Es geht um Frauen mit Kinderwunsch, die entweder alleine oder in einer lesbischen Beziehung leben. In Deutschland bleibt ihnen der Weg zu den Kinderwunschzentren versperrt. Zwar gibt es kein Gesetz, das ihnen die künstliche Befruchtung verbietet. Die Bundesärztekammer empfiehlt Reproduktionsmedizinern aber, nur Ehepaare oder Hetero-Paare zu behandeln, die in einer stabilen Beziehung leben. Die meisten Ärzte halten sich auch daran.
Frauen, die durch dieses Raster fallen, bleibt nur der Weg ins Ausland. Viele fahren in die Niederlande oder nach Skandinavien, wo sich jede Frau künstlich befruchten lassen kann, unabhängig von ihrem Familienstand. Das kann mehrere tausend Euro kosten. Viele Frauen können sich das nicht leisten. Sie machen etwas, wovon Experten abraten: Sie suchen sich auf eigene Faust Samenspender.
Bühler will pro Spende 100 Euro verlangt haben
Martin Bühler hat seine Auftraggeberinnen über das Portal spendesperma.com gefunden. Mit mehr als 5000 registrierten Mitgliedern ist es eine der größten deutschen Communitys für Frauen, die durch Samenspende schwanger werden wollen. Bühler sagt, er habe hundert Euro pro Spende kassiert. „Mehr sollte auch ein seriöser Spender nicht verlangen.“
Die Realität sieht anders aus. Bühler sagt, es gäbe viele Schwarze Schafe. Männer, die mit berühmten Vorfahren wie Napoleon in ihrem Stammbaum prahlen und bis zu 10 000 Euro für ihr Sperma kassieren. Und Männer, denen es weniger ums Geld gehe als darum, die Frauen ins Bett zu bekommen.
Im Internet kursieren Warnungen vor Samenspendern
Auf spendesperma.com kursieren inzwischen Warnungen vor Männern, die Frauen wiederholt bedroht oder sexuell genötigt haben. Eine Frau schreibt: „Die Typen, die einem sofort alle Daten zukommen lassen, sind zu fast achtzig Prozent vollkommen krank.“
Martin Bühler sagt, er sei im Reinen mit sich. Seine 13-jährige Tochter wisse von ihren Halbgeschwistern. Neun von ihnen hat er inzwischen getroffen. Alle gesund, das ist ihm wichtig. Und was macht er, wenn er eines Tages um eine Spenderniere für eines dieser Kinder gebeten wird? Bühler sagt, das wisse er nicht. Daran habe er noch nie gedacht.
Martin Bühler: Meine 100 Kinder, Was ich als privater Samenspender erlebt habe, 192 Seiten, riva, 9,99 Euro.
Es ist eine Frage, die alle Samenspender bewegt, egal, ob sie ihr Sperma an eine Samenbank verkaufen oder an Frauen mit Kinderwunsch: Was passiert, wenn die Empfängerinnen irgendwann Unterhalts- ansprüche für das Kind anmelden? Die Sorge ist berechtigt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1989 hat jedes Kind das Recht zu erfahren, wer seine biologischen Eltern sind. Im letzten Jahr entschied der BGH, dass es dafür keine Altersgrenze gibt. Für die Spender kann das teuer werden. Schließlich steigt damit das Risiko, dass sie von den Müttern ODER den Kindern auf Unterhalt verklagt werden. In Deutschland ist das zwei Männern schon passiert. In beiden Fällen ging eine lesbische Beziehung in die Brüche, und die biologischen Mütter versuchten, die Väter in die Pflicht zu nehmen. Dabei hatten die sich wie die meisten Samenspender vorher einen Unterhaltsverzicht der Empfängerinnen vertraglich garantieren lassen. Doch derlei Verträge bieten hierzulande keine 100prozentige Sicherheit. Das Familienrecht orientiert sich am Kindeswohl. Und wenn das Gericht dem Spender die biologische Vaterschaft nachweisen kann, ist er unterhaltspflichtig. Die beiden Prozesse gegen die Samenspender endeten mit einem Vergleich. ah