Bei Maischberger verteidigt Ministerpräsidentin Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern ihre Reiseverbote und schiebt „die Verantwortung“ den Risikogebieten zu. Aufmerken lässt aber der Virologe Streeck.

Stuttgart - Wenige Stunden nach dem Corona-Gipfel bei der Kanzlerin hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig es in der ARD-Talkrunde von Sandra Maischberger bedauert, dass Bund und Länder keine einheitliche Regelung für Beherbergungsverbote gefunden haben. „Es ist schade, dass wir uns da nicht geeinigt haben.“ Obwohl sie einen Kompromiss gemeinsam mit Schleswig-Holstein vorgeschlagen habe. Vehement verteidigte die Sozialdemokratin das Beherbergungsverbot für Mecklenburg-Vorpommern, das für Reisende aus Risikogebieten mit einer Inzidenz von mehr als 50 gilt, es sei denn, sie können einen negativen Corona-Test vorlegen oder begeben sich in Quarantäne.

 

Mecklenburg-Vorpommern hat die geringste Infektionszahl

Es sei doch gar nicht einsehbar, dass Menschen aus Risikogebieten bei sich daheim strenge Restriktionen wie keine Treffs mit mehr als zehn Leuten einhalten müssten und dann nach Mecklenburg-Vorpommern reisten und sich dort unbekümmert und frei bewegten – ohne die Regeln ihrer Heimat. Mit einem Konzept für „sicheren Tourismus“ habe es ihr Land auch durch den Sommer geschafft, fünf Millionen Gäste beherbergt, „und wir haben immer noch die geringste Infektionszahl“. Das umstrittene Beherbergungsverbot für Leute aus Risikogebieten gelte in Mecklenburg-Vorpommern übrigens schon seit Mai/Juni – da habe sich bisher keiner dran gestört. Das ist jetzt anders. „Ich glaube, man hat den Leuten nicht gesagt, was auf sie zukommt, wenn ihr Ort selbst einmal Risikogebiet wird.“ Im übrigen trage doch derjenige die Verantwortung, der in einem Risikogebiet lebe.

Allein im Hotelbett – wo ist da das Risiko?

Zumindest bei der eingeladenen Journalistin Susanne Gaschke („Welt“ und „Welt am Sonntag“), einst SPD-Oberbürgermeisterin in Kiel, löste das Beherbergungsverbot zumindest Kopfschütteln aus: „Was bringt denn das Beherbergungsverbot? Wenn da einer oben allein in seinem Hotelbett liegt, ist das verboten. Und unten essen und feiern dann zehn Leute – und das ist erlaubt.“ Das verstehe kein Mensch. Im übrigen, so Gaschke, störe sie „die apokalyptische Rhetorik“ rund um den Kanzlergipfel, Angst sei „kein guter Ratgeber“.

Beim Studiogast Hendrick Streek, Professor für Virologie an der Universität Bonn, rannte Gaschke da offene Türen ein. Der musste nach einer Frage von Sandra Maischberger seinen in einem Interview gefallen Satz verteidigen, wonach auch 20 000 Neuinfektionen am Tag „uns keine Angst machen sollten“. Zum einen hielt Streeck die vom SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach genannte Zahl, dass es bei einer so hohen Infektionsrate zu 200 Toten am Tage komme, für viel zu hoch gegriffen. Zum anderen müsse man bei „Schäden“ durch Corona auch über die verschobenen Operationen sowie die „verlorenen Existenzen“ reden.

Entscheidend sind die stationären Fälle

„Entscheidend aber sind die stationären Fälle, nicht die Neuinfektionen. Wenn wir einen großen Ausbruch in einem Altenheim haben, und 50 Bewohner müssen ins Krankenhaus – dann ist das gravierender als 150 junge Raver mit Neuinfektionen und milden Symptomen.“ Man müsse die Risikopatienten besser schützen, die neuen Antigen-Schnell-Tests sollten für die Berufsgruppen da sein, die beispielsweise in Heimen arbeiteten. Streeck appellierte, man möge „nicht nur auf die Neuinfektionen gucken“, sondern andere Faktoren für die Bewertung der Lage heranziehen: die Anzahl der Tests, Daten über die stationäre Belegung sowie über milde und schwere Verläufe nach einer Infektion. Auch die von Lauterbach genannte Sterblichkeitsrate von einem Prozent zweifelte Streeck an. Er gehe nach seinen Heinsberg-Studien von einer Sterblichkeitsrate um die 0,37 Prozent bei Corona aus. „Es ist nicht das Killervirus, wie wir das anfangs gedacht hatten.“ Aber es sei natürlich gefährlich.

Auch Streeck hatte seine Zweifel, ob das Maßnahmenpaket der Politiker so besonders sinnvoll ist, beispielsweise eine Sperrstunde um 23 Uhr: Die meisten Infektionen passierten doch zuhause, in Innenräumen und auf privaten Feiern. „Da müsste man die Stellschrauben anziehen.“ Bei Veranstaltungen – auch draußen – da gebe es doch ein Setting an Vorsichtsmaßnahmen.