Die TV-Moderatorin Sarah Kuttner legt nach: in ihrem Roman „180° Meer“ hat wieder mal jemand sehr schlechte Laune. Diesmal geht es um ein traumatisiertes Scheidungskind.

Stuttgart - Wenn die Fernsehmoderatorin und Autorin Sarah Kuttner einen Roman vorlegt, kann man davon ausgehen, dass er nicht gerade vor guter Laune sprüht. Ihre Bücher handeln von jungen Frauen, die mehr schlecht als recht durchs Leben stolpern und hauptsächlich Probleme wälzen – das aber stets auf amüsante Art. So wie sie eben selbst ist, die Autorin: ein bisschen verquer, ein bisschen unbequem, stets direkt und authentisch.

 

In ihrem Debütroman „Mängelexemplar“ (2009) kämpfte die Protagonistin mit Depressionen und in „Wachstumsschmerz“ (2011) ging es um das Scheitern einer Beziehung an den Umständen des modernen Lebens. Auch in ihrem neuen Roman „180° Meer“ geht es wieder um eine „Problemfrau“. Die Geschichte von Jule, einem traumatisierten Scheidungskind, wartet mit viel Misanthropie und schlechter Laune auf. Ein Grau in Grau der unverarbeiteten Schicksalsschläge bildet die Grundlage des Plots, den Kuttner in dem ihr eigenen süffisanten Plapperstil aufgeschrieben hat.

Vollkommen überflüssiger Sex

Jule, eine miesepetrige, zynische 30-Jährige, arbeitet unmotiviert als Soulsängerin in einer Berliner Bar und betrügt ihren geliebten Freund Tim ebenso unmotiviert wie überflüssig mit dem Bar-Besitzer André. Warum sie das tut, weiß sie selbst nicht so genau: „Meine Gedanken streifen kurz die Frage, welches Bedürfnis in mir wohl dafür sorgt, ein rückgratloser Gummimensch zu werden, wenn es um Sex geht. Um vollkommen überflüssigen Sex mit jemand vollkommen Überflüssigem wie Andreas.“

Als Tim Wind von Jules Doppelleben bekommt , flieht sie zu ihrem Bruder Jakob nach London, um sich mit dem entsprechenden Abstand über ihren Seelenzustand klar zu werden. In England trifft sie, neben dem WG-Hund Bruno, der zu ihrem ständigen Begleiter wird, auf ihren Vater. Zu diesem hat sie ein schlechtes Verhältnis, weil der sich im Leben seiner Kinder frühzeitig aus dem Staub gemacht hat. Und wenn er mal da war, dann nur um Jule in ihren Augen ständig optimieren zu wollen. „Wenn ich weinte, weil ich beim ersten Mal Radfahren ohne Stützräder sofort einfach wie ein Sack zur Seite kippte und mir dabei die Knie aufgeschlagen hatte, hagelte es ‚Habdichnichtsos’ und ‚Duhastesjanochnichtmalrichtigversuchts’.“

Probleme im verspielten Plapperton

Das Blöde an dem Wiedersehen: ihr Vater Michael hat Krebs und wird bald sterben. Jule kann nicht damit umgehen, dass ihr das eigentlich nichts ausmacht, weil sie weiß, dass es ihr eigentlich etwas ausmachen müsste. Zu ihrer Mutter Monika hat sie ein ähnlich schlechtes Verhältnis. Die leidet seit Jule denken kann an einer Depression und hat ihr schon als kleines Mädchen sämtlichen Seelenballast auf die Schultern geladen.

Probleme, Probleme, nichts als Probleme! Sarah Kuttner gelingt es glücklicherweise mit ihrem verspielten Plapperton, dass es im Moloch der verlorenen Kindheit nicht allzu sumpfig wird. Und wenn die Handlung auch geradewegs auf ein absehbares Happy End hinaus läuft, gelingt es Kuttner, dabei nicht ins Kitschige abzudriften, sondern etwas Liebevolles, Tröstliches aus der Geschichte zu holen.

Am Ende ist Jule eine Hundeliebhaberin, hat sich ihren Problemen gestellt, alten Menschen in einer Senioreneinrichtung das Leben verschönt und sich auf ihre Art und Weise mit ihrem Vater versöhnt. Um das Happy End nicht gar zu sehr auszureizen, lässt Sarah Kuttner am Ende Tim Jule den folgerichtigen Laufpass geben.