Der Bestsellerautor Frank Schätzing („Der Schwarm“) hat einen neuen Roman vorgelegt, für dessen Recherche er in Israel unterwegs war. „Breaking News“ verbindet Familiensage mit Thriller.

Stuttgart - Beantworten wir die wichtigste Frage vorweg: Lohnt es sich, den neuen Roman „Breaking News“ von Frank Schätzing zu lesen? Ja. Auch wenn es einem streckenweise so vorkommt, als habe man es mit einer Mischung aus Peter SchollLatour und Ken Follett zu tun. Ein guter Thriller ist Handwerk. Der Autor muss sich das richtige Thema suchen und es sauber recherchieren; er muss eine Dramaturgie entwickeln, mit der er seine Protagonisten durch die Szenerie treibt; er muss eine Balance zwischen Atemlosigkeit und Entspannung finden. Frank Schätzing weiß, wie das geht. Die Handlung im Schlussteil seines Erfolgsbuches „Der Schwarm“ und sein gesamter letzter Roman „Limit“ waren noch unter der Last des recherchierten Materials zusammengebrochen. Diesen Fehler hat Schätzing in „Breaking News“ weitgehend, wenn auch nicht völlig, vermieden.

 

Vor seinem Erfolg als Schriftsteller leitete Schätzing eine Werbeagentur in Köln. Er versteht es also, die Medienmaschine zu bedienen. Vielleicht hat sich Schätzing daher ein wenig gewundert, dass seine gezielte Provokation bei der Wahl des Sujets nicht gezündet hat. Eigentlich hätte man in diesem hypersensiblen Umfeld erwarten dürfen, dass irgendjemand eine öffentliche Debatte darüber anzettelt: Darf ein deutscher Autor einen deutschen Helden mit Namen Hagen (!) vom israelischen Geheimdienst durch Mea Schearim, das Viertel der Ultraorthodoxen in Jerusalem, durch Siedlungen der Nationalreligiösen im Gazastreifen und im Westjordanland und schließlich durchs palästinensische Nablus jagen lassen? Ihm jüdische Fanatiker, die sich ein Armageddon herbeisehnen, an die Fersen heften? Eine Diskussion darüber hätte den Verkaufszahlen mit Sicherheit nicht geschadet. Bislang ist sie ausgeblieben.

Ermüdende Erläuterungen zur Afghanistan-Politik

Israel und der Nahe Osten sind vermintes Gelände. Auch im wörtlichen Sinne, wie Schätzings Titelfigur, der deutsche Top-Journalist Tom Hagen, erfahren muss. Hagen arbeitet für eine Tageszeitung in Hamburg, die über wahnsinnig viel Geld verfügt, was allein schon diese Figur zum Klischee werden lässt. Zunächst berichtet er aus Afghanistan. Das ist die Vorgeschichte zur eigentlichen Handlung. Schätzing gibt darin in einem schnodderigen Ton, in dem er das ganze Buch hindurch zeitgeschichtliche Informationen einstreut, ermüdende Erläuterungen zur Afghanistan-Politik, die nichts zur Story beitragen. Kürzungen hätten diesem Kapitel gutgetan. Auf Seite 84 kommt es dann für Tom Hagen zum ersten großen Knall – und die Handlung springt nach Palästina ins Jahr 1929.

Frank Schätzing verwebt von nun an einen Thriller und eine Familiensaga – mit erst langsam zunehmendem Geschick. Die Geschichte der Familien Kahn und Scheinermann, im Stile von Ken Folletts Trilogie „Jahrhundertsaga“, beginnt im britischen Mandatsgebiet Palästina kurz vor der Gründung des Staates Israel. Wir lernen junge Männer und Frauen kennen, die ins biblische Land gekommen sind, um einen jüdischen Staat zu gründen. Die Gründergeneration ist eher zionistisch als religiös motiviert. Die meisten Juden versuchen, gut mit ihren arabischen Nachbarn auszukommen.

Schon in der nächsten Generation ändert sich das: Die Wege der Säkularen und der Religiösen trennen sich. Während sich der verträumte Benjamin Kahn immer intensiver dem Studium der Thora widmet, will sein Bruder Jehuda säkularer Bauer werden. Aus Benjamin wird in den folgenden Jahrzehnten ein fanatischer, aber einflussreicher nationalreligiöser Rabbi. Ihrem Jugendfreund Arik Scheinermann, einem Helden des Unabhängigkeitskrieges, vertraut Staatsgründer David Ben Gurion eine neu gegründete Geheimdiensteinheit an. Der Premierminister gibt dem jungen Mann auch einen neuen Namen: Ariel Scharon. Wie es sich für einen guten Autor gehört, zieht Schätzing seine Leser in seine Geschichte, indem er Fiktion und Wirklichkeit verflechtet.

Eine Reise voller Prüfungen und Bewährungsproben

Im Thriller-Teil macht sich der deutsche Bestsellerautor die wohlerprobten Mittel amerikanischer und britischer Kollegen zu eigen, wenngleich dem Buch mehr angelsächsische Erzählökonomie gut täte. Tom Hagen ist der Protagonist einer Heldenreise. So bezeichnet man ein klassisches Erzählprinzip, dem schon Homers Odyssee folgt. Ein Held wird darin gegen seinen Willen auf eine Reise voller Prüfungen und Bewährungsproben geschickt. Er erledigt dabei Gegner, die eigentlich stärker sind als er. Am Ende ist der Feind besiegt und der Held in seiner Persönlichkeit gereift.

Tom Hagens Heldenreise liest sich bei Schätzing so: Durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen wird der deutsche Krisenreporter in ein Komplott rechter nationalreligiöser Kräfte innerhalb des israelischen Inlandsgeheimdienstes hineingezogen. Es beginnt mit zwei Russinnen mit Kopfdurchschuss, einem Fotoreporter mit zerbrochenen Fingern und ebenfalls einem Loch im Kopf, einer Schießerei in einem Hotelzimmer und einer akrobatischen Flucht durchs Fenster. Und steigert sich von da an. Bald kämpft der Deutsche gemeinsam mit einer schönen Frau an seiner Seite, der Ärztin Yael Kahn, Enkelin des Bauern Jehuda und Großnichte des Rabbiners Benjamin. So etwa ab der Hälfte des 950-seitigen Romans wird klar, dass die Verfolgungsjagden und Mordversuche, die Schießereien und Folterungen, denen Tom und Yael ausgesetzt sind, mit dem Aufstieg Ariel Scharons in Zusammenhang stehen, den der Leser in der Parallelhandlung verfolgen kann. Scharon wird General, Verteidigungsminister, schließlich Ministerpräsident und erleidet in jenem Moment einen Hirnschlag, indem er den Friedensprozess mit den Palästinensern hätte entscheidend voranbringen können – was Schätzing den Plot für „Breaking News“ liefert.

Der Autor hat gründlich recherchiert, war im Lande unterwegs und müht sich redlich, Israels Wirklichkeit aus Gewalt und Vergeltung, aus religiösem Eifertum und Sicherheitsbedürfnis gerecht zu werden. Die israelische Binnenperspektive verlässt er dafür kaum – wer mag ihm das vorwerfen? Sie ist kompliziert genug. Sprachlich wächst ihm sein Stoff gelegentlich über den Kopf. Dann rettet er sich in Zynismus oder lässt den Text in Großbuchstaben schreien. Aber wer Hochliteratur will, greift ohnehin besser zu Amos Oz und David Grossmann. Frank Schätzing liefert seinen Lesern eine (von der zweiten Hälfte an) spannende Geschichte und einen ausgewogenen Blick auf die innere Zerwürfnisse Israels. Das ist nicht das Schlechteste, was man über einen deutschen Thriller sagen kann.