Der Büromöbelhersteller Vitra hat für seine Designsammlung in Weil am Rhein ein Schaudepot eingerichtet. Geplant wurde der Neubau von den Basler Architekten Herzog und de Meuron.

Weil am Rhein - Jede Wette, dass das Foto dieser nachbarschaftlichen Beziehungskiste in sämtlichen Architektur-, Design- und Lifestyle-Magazinen der Welt publiziert wird: Auf der einen Seite die dekonstruktivistisch gebrochenen Sichtbetonformen von Zaha Hadids Feuerwache aus dem Jahr 1993, ihrem ersten realisierten Gebäude überhaupt – bis heute eines ihrer besten – und daneben neuerdings der hyperschlichte, massive, in sich ruhende Backsteinbau des Vitra Schaudepots von Herzog und de Meuron, das Inbild einer archaischen Urhütte. Mehr Kontrast geht nicht. Mehr „Stararchitektur“ an einem Fleck auch nicht. Hie die kürzlich verstorbene Grande Dame der zeitgenössischen Baukunst mit ihrem Erstlingswerk, da die Global Player aus Basel, die auch nach unzähligen Architekturikonen wie dem Olympiastadion in Peking, der Hamburger Elbphilharmonie und der Tate Modern in London noch immer für Überraschungen gut sind.

 

Aber das Produktionsgelände des Büromöbelherstellers Vitra im südbadischen Weil am Rhein ist ohnehin so etwas wie ein gebautes Who-is-who der Gegenwartsarchitektur. Rolf Fehlbaum, der die Firma bis 2013 leitete und als Chairman emeritus weiterhin einflussreich im Hintergrund die Fäden zieht, ist seiner Natur nach ein Sammler. Und so begann er nach einem Großbrand 1981 herausragende Architekten mit dem Wiederaufbau der Fabrikgebäude zu beauftragen – mit dem imagefördernden Nebeneffekt, dass die großen Namen auf das Unternehmen selbst zurückstrahlen. Vitra-Stühle schmücken heute Vorstandsetagen von Hongkong bis Hannover.

Einer der spektakulärsten Neubauten auf dem Vitra-Campus war Ende der achtziger Jahre das Design Museum des Kaliforniers Frank O. Gehry. Ursprünglich sollte es die Möbelsammlung aufnehmen, die Fehlbaum anzulegen begonnen hatte, nachdem ein originaler Aalto-Stuhl unter einem schwergewichtigen Gast zusammengekracht war und ersetzt werden musste. Doch für die inzwischen auf mehr als 20 000 Objekte angewachsene Sammlung war schon bald kein Platz mehr im Museum, da dieses sich auf Wechselausstellungen zur Architektur- und Designgeschichte verlegt hat. So reifte in Fehlbaums Kopf der sehr moderne, unter Museumsleuten immer mehr Anhänger findende Gedanke eines Schaudepots, das den „Inspirationsfundus“ der Möbelbauer öffentlich zugänglich macht.

Dauerhaftigkeit gegen die Flüchtigkeit der virtuellen Welt

Der ziegelrote Neubau ist nicht das erste Werk von Herzog und de Meuron auf dem Vitra-Campus. Bereits 2010 entstand das von den Schweizer Architekten geplante Vitra-Haus, und bereits dieser Flagshipstore, in dem die Produkte des Unternehmens zu sehen sind, macht das archaische Haus, die Urhütte, zum Thema. Was dort, am Nordeingang des Firmengeländes, aber zu einer kunstvoll-ironischen Architekturskulptur verschachtelt und aufgetürmt wurde, erscheint am südlichen Campusrand auf seine elementarsten Formen reduziert: Wände, Satteldach, Tür – „that’s it“, wie Jacques Herzog in der überfüllten, international besetzten Medienkonferenz zur Eröffnung resümierte. Nicht einmal Fenster gibt es.

Die simple Form ist zum einen funktionsbedingt. Ein Schaudepot ist kein Museum, sondern ein Lager, in dem die Objekte unkuratiert und dicht an dicht aufbewahrt werden. Zum andern würde jeder Versuch, Hadids Feuerwache in einem Spektakel-Wettbewerb zu toppen, in der Lächerlichkeit enden. Zwei Diven stehlen sich nur gegenseitig die Schau, und was der Computer im vergangenen Vierteljahrhundert an architektonischen Extravaganzen ausgespuckt hat, ist auch schon durch.

Heute, „wo alles seine physische Qualität verliert“, geht es Jacques Herzog und Pierre de Meuron mehr denn je darum, der virtuellen Realität der digitalen Welt etwas entgegenzusetzen: Dauerhaftigkeit, körperliche Präsenz, Hermetik, Schwere, Archaik. Ihr Depotgebäude soll bescheiden und zeichenhaft zugleich sein. Backstein, dieses uralte Material, spielt im Bauen von Herzog und de Meuron darum nicht zufällig eine immer wichtigere Rolle – zuletzt im Unterlinden-Museum in Colmar, demnächst in London, wo am 17. Juni die Erweiterung der Tate Modern gefeiert wird. Mit dem elsässischen Unterlinden-Museum verbindet das Schaudepot überdies die Fassade aus gebrochenen Ziegelsteinen, die mit der Bruchseite nach außen vermauert wurden. Und wie dort verleiht das Material der geschlossenen Hülle eine geriffelte, gleichsam textile Struktur, nur dass hier in Anlehnung an eine benachbarte Produktionshalle eine sehr alltägliche, rote Backsteinsorte genommen wurde. Ziegelrot ist auch der etwas erhöhte Platz, auf dem das Gebäude thront, während die rahmenlose Türöffnung auf den ersten Blick wie ein schwarzes Loch aussieht – für einen Wimpernschlag kommt man sich vor wie in einer Pittura metafisica von De Chirico mit ihrer geheimnisvollen Aura.

Ein Sofa für Billy Wilder

Drinnen dann die nüchterne Helligkeit einer Lagerhalle, die von den weißen Leuchtröhren an der Decke, den weißen Wänden und dem auf Hochglanz polierten Betonfußboden ausgeht. Chronologisch geordnet stapeln sich rund vierhundert Stühle und Möbel aus den letzten zweihundert Jahren in Regalen, beginnend mit der industriellen Serienfertigung um 1800 bis zu den jüngsten Sitzgelegenheiten aus dem 3D-Drucker. Man begegnet Schinkel-Stühlen aus Eisenguss, Designklassikern wie Marcel Breuers Wassily-Sessel, dem legendären Lounge Chair von Charles und Ray Eames sowie einem schmalen Ledersofa, das sich der Hollywoodregisseur Billy Wilder bei dem Ehepaar für seinen (nicht zu bequemen) Büromittagsschlaf bestellt hatte, Alvar Aaltos Schichtholzsessel für das Paimio-Sanatorium in Finnland und Kaffeehausstühlen der Firma Thonet. Daneben finden sich auch unbekanntere Stücke, und in der Mitte ist noch Platz geblieben für kleine Sonderausstellungen, deren erste dem Schaffen der italienischen „Radical Design“-Bewegung der Siebziger gewidmet ist.

Aber all das ist nur ein Bruchteil des Gesamtbestands. Das Gros der Sammlung lagert noch dichter gedrängt in unterirdischen Depots. Die Blickverbindung zwischen oben und unten schafft eine breite Wandöffnung, und dass man es bei Vitra mit der Sichtbarkeit ernst meint, zeigen auch die großzügigen Einblicke in Büros und die Bibliothek, die vom neuen Café aus gewährt werden. Selbst die Restaurierungswerkstätten stehen Besuchern bei Führungen offen.

Satellit am Ortsrand

Mit dem Depot-Neubau schreite die „Metropolisierung“ bei Vitra fort, sagt Rolf Fehlbaum. In der Tat. Früher war das weitläufige Gelände ein kaum angebundener Satellit am Ortsrand. Jetzt hält am neuen südlichen Eingang die „Tram“ nach Basel, und auch Weil rückt näher an den Campus heran, er wird zunehmend Teil der beiden Städte diesseits und jenseits der deutsch-schweizerischen Grenze. Der Chairman emeritus legt darum Wert auf die Feststellung, dass es sich bei den Firmengebäuden keineswegs um eine „Kumulation interessanter Architektur“ oder gar um einen Architekturzoo handle, sondern um ein städtebaulich durchstrukturiertes Stadtquartier. Neuerdings stimmt das sogar.