Für Fernwehgeplagte hat die Reisemesse CMT exotische Tipps. Aber auch Stuttgart hat offenbar seine Reize: als Schwarmstadt. Darunter versteht die Forschung Städte, in die junge Menschen ziehen weil sie einen guten Klang haben. In ist wer drin ist.

Stuttgart - Japan ist toll. Am Stand der Japanischen Fremdenverkehrszentrale auf der Messe werden Origami-Schwäne gefaltet, für die Kinder gibt es Hello-Kitty-Taschen und für die Eltern den Japan-Knigge. Darin stehen „Do’s and Don’ts“ für deutsche Touristen. Am meisten beeindruckt haben uns die Regeln für die japanischen Steh-Toiletten. „Bitte achten Sie darauf, Ihre Hausschuhe vor der Toilettentür auszuziehen und in die bereitstehenden Toilettenschuhe zu schlüpfen. Bitte vergessen sie auf keinen Fall, diese beim Verlassen der Toilette wieder gegen Ihre eigenen Hausschuhe zu tauschen!“ Puah.

 

Dann vielleicht doch lieber nach Basel zum Morgenstreich, der an dem wunderschönen Schweiz-Stand beworben wird. Auch hier gibt es Tipps für ahnungslose Ausländer. So sind „geschminkte Gesichter, Pappnasen, Narrenkappen, Schunkeln, Grölen, aber auch Betrunkenheit an der Basler Fasnacht verpönt.“ Des Weiteren gilt: „Nehmen Sie keine Räppli von der Straße auf“ oder: „Werfen Sie Orangen und andere Gegenstände weder zurück, noch aufs Geratewohl ins Publikum.“ Hatten wir auch nie vor, ehrlich.

Reisen kann anstrengend sein. Aber warum wollen wir eigentlich weg? Schließlich leben wir in einer Schwarmstadt. Was sich dahinter verbirgt, hat der Erfinder der schönen Vokabel am Donnerstag beim Neujahrsempfang der Immobilienwirtschaft im Geno-Haus verraten. Harald Simons hat einen Lehrstuhl in Leipzig, ist Vorstandsmitglied beim privaten Forschungsinstitut Empirica in Berlin. Und in seiner Cordhose mit Tweedjacket und Mittelscheitel sieht Simons aus wie ein Professor aus dem Bilderbuch.

Seine Ausgangsfrage war: Wie kann eine schrumpfende Bevölkerung Wohnungsknappheit produzieren? Es habe, so Simons, eine Umverteilung innerhalb Deutschlands gegeben, ein neues Wanderungsmuster, dem die Prognosen hinterherhechelten. Den Knick datiert er zwischen 2005 und 2010. Simons beschreibt das Schwarmverhalten so: „In Kleinkleckersdorf steigen einzelne Vögelchen auf und fallen in bestimmte Städte ein.“

Leipzig ist die Top-Schwarmstadt

Als die Haupt-Schwärmer bezeichnet Simons die Berufsanfänger zwischen 25 und 34. Insofern sei nicht das Angebot an Hochschulen der ausschlaggebende Faktor. Viel mehr zählten emotionale Gründe: „Jetzt will ich mal in einer richtigen Stadt leben, einer Stadt mit Klang.“ So wie Leipzig, der „Top-Schwarmstadt“, die in den vergangenen fünf Jahren 50 000 junge Menschen dazu gewonnen habe. Stuttgart lag 2013 auf Simons Liste auf Rang zehn, immerhin, aber hinter Heidelberg, Darmstadt, Karlsruhe, Freiburg.

Grund fürs Ausschwärmen in Deutschland sei nicht der Arbeitsplatz, betonte Simons. Vielmehr seien unter den Schwärmern viele, die in ihrer Traumstadt lebten und zum Job pendelten. Nach dem Motto: „Lieber lebe ich in Köln, als in Montabaur abends wie tot überm Zaun hängen.“ Auslöser für diesen Trend sei der Pillenknick. Angefangen habe die Schwarmbewegung bei den Geburtsjahrgängen 1974 bis 1978. „Junge Menschen, die in der Minderheit sind, rotten sich zusammen“, erklärte er. Wo es keine Freunde mehr in Fahrradnähe und keine Kneipen mehr gibt, da will ich auch nicht länger bleiben.

Schön für die Städte, schlecht für die Mieten. Oder umgekehrt: die Hauptattraktion ausblutender Regionen ist günstiges Wohnen. Insofern halte er als Volkswirt die Mietpreisbremse für kontraproduktiv. Auch wenn dieses Fazit Balsam war in den Ohren von Bauträgern, Maklern und Bankern, ahnte die City-Managerin Bettina Fuchs bei Kalbsfilet und Schupfnudeln: „Anstrengen müssen wir uns trotzdem.“