Laura Linney erzählt über ihre Liebe zu Sherlock Holmes, ihr kleines Baby und darüber, wie Hollywood mit seinen Frauen umgeht. „Ich habe mich mit Hollywoods Sexismus arrangiert“, sagt die 51-Jährige.

Berlin - Für Schauspieler wie Laura Linney gibt es in Hollywood die schöne Bezeichnung „Charakterdarstellerin“. Kein Superstar, aber doch ein Gesicht, das man als Film- und Fernsehfan vom Sehen kennt, aus Nebenrollen und aus Filmen, die eher bei den Kritikern als an den Kassen Erfolge feiern. Erfolglos ist die 51-Jährige dabei trotzdem nicht. Drei Oscar-Nominierungen, zwei Golden Globes und drei Emmys sprechen davon. Doch das Foyer des Berliner Hotel de Rome kann Linney unbehelligt passieren. Dort trafen wir die Amerikanerin zur Weltpremiere ihres neuen Films „Mr. Holmes“, der am 24. Dezember auch in die deutschen Kinos kommt.
Miss Linney, Sie hatten in der Vergangenheit schon dreimal mit Regisseur Bill Condon gearbeitet. War es ausgemacht, dass Sie auch in „Mr. Holmes“ dabei sind?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind in der Tat gut befreundet, aber ein Automatismus ist unsere Zusammenarbeit nicht. Und in diesem Fall war ich eigentlich noch in der Babypause. Eines Tages kam Bill vorbei, eigentlich natürlich, um sich meinen Sohn anzusehen. Ich erzählte ihm, dass ich in absehbarer Zeit nicht vorhätte, zu arbeiten, und nur ganz nebenbei erwähnte er, dass er einen Film über Sherlock Holmes drehen werde, mit Ian McKellen in der Hauptrolle. Das hörte sich toll an, aber ich verschwendete gar keinen weiteren Gedanken daran. Bis zwei Tage später meine Agentin anrief.
Er bot Ihnen die Rolle nicht persönlich an?
Das ist eigentlich nicht ungewöhnlich, selbst unter Freunden. Die meisten gehen immer den offiziellen, professionellen Weg. Auch damit sich niemand eine Blöße geben muss, wenn man vielleicht doch mal absagen will. Jedenfalls hat er ganz bewusst persönlich nur zaghaft vorgefühlt und mir die Rolle über meine Agentin angeboten. Ich bin sofort in mein Büro gestürmt.
Um was zu tun?
Um ein Foto von dem Bild zu machen, das über meinem Schreibtisch hängt: ein Bild des US-Schauspielers William Gillette, der Anfang des 20. Jahrhunderts als Sherlock Holmes auf der Bühne, der Leinwand und in der Werbung Erfolge feierte und sogar mit Arthur Conan Doyle zusammenarbeitete. Das musste ich sofort an Bill schicken, denn davon, dass ich ein riesiger Sherlock Holmes-Fan bin, hatte er gar keine Ahnung.
Was fasziniert Sie denn so an dem Detektiv?
Zunächst einmal vermutlich einfach das Britische, denn wie viele Amerikaner pflege ich eine spezielle Faszination für England. Aber auch seine Brillanz, seine Exzentrik, das Einzelgänger-Dasein und die Drogensucht fand ich immer spannend, schon als Jugendliche. Ich war früher wirklich besessen von Sherlock Holmes. Basil Rathbone und Nigel Bruce als Holmes und Watson in den alten Radio-Hörspielen habe ich verehrt! Ich ließ mir sogar eigens Sweatshirts machen mit dem Namen Sherlock Holmes auf dem Rücken.
Apropos guter Freund: Fällt es Ihnen leicht, in Ihrem Beruf enge Freundschaften zu schließen?
Wenn man die richtigen Leute trifft, kann das überall gelingen. Es gibt sicher Jobs, in denen das noch einfacher geht, schließlich sind wir Schauspieler selten länger als ein paar Wochen an einem Ort. Ich lebe ja noch nicht einmal in L.A. oder Hollywood, sondern abseits in Connecticut. Aber heutzutage kann man ja auch Freundschaften über eine Distanz gut aufrecht erhalten. Ich habe jedenfalls einige gute Freunde bei der Arbeit kennen gelernt. Nicht nur Bill, sondern auch Liam Neeson, der ein Landhaus gar nicht weit von mir hat, oder Gabriel Byrne. Mit Philip Seymour Hoffman war ich auch befreundet. Und nach meinem lieben Freund Armistead habe ich sogar mein Baby benannt.
Sie meinen den in den USA beliebten Schriftsteller Armistead Maupin?
Genau. Ich wusste noch gar nicht, wie mein Sohn mit erstem Namen heißen würde, da stand für mich schon fest, dass sein zweiter Armistead sein würde. Ich kenne Armistead seit ich damals in der Verfilmung seiner „Stadtgeschichten“ mitspielte. Diese Miniserie war eine meiner ersten Rollen, und wir beiden hatten sofort eine Wellenlänge. Selten habe ich jemanden mit einem so großen Herz getroffen wie ihn.
Als Sie schwanger wurden, zogen Sie sich für eine ganze Weile aus Ihrem Job zurück. Vermissten Sie die Schauspielerei?
Kein bisschen. Dabei war ich mir sicher, dass ich es tun würde. Mir fehlte die Arbeit nicht im geringsten, und ich kann wirklich nur betonen, wie gut mir diese Auszeit getan hat. Was mich allerdings beruhigte, war die Erkenntnis, dass meine Liebe für den Beruf nicht kleiner geworden ist. Ich ging mehr denn je als Zuschauerin ins Theater und ins Kino und hatte keinen Zweifel daran, dass ich weiterhin Teil dieser wunderbaren Welt sein wollte.
Niemand wusste in der Öffentlichkeit von Ihrer Schwangerschaft bis nach der Geburt. Warum diese Geheimhaltung?
Ich musste immer etwas lachen, wenn in den Medien etwas von Geheimhaltung stand. Man ist es anscheinend nicht mehr gewohnt, wenn eine Schauspielerin ihren Bauch nicht präsentiert. Tatsächlich habe ich gar nichts geheim gehalten. Ja, ich habe meinen Agenten nicht über die Schwangerschaft informiert, also gab es kein Statement. Ich habe eine ganze Weile nicht gearbeitet, was auch damit zu tun hatte, dass ich mir als Spätgebärender so viel Ruhe wie möglich gönnen wollte. Aber Sie hätten mir jederzeit in einem New Yorker Theaterfoyer über den Weg laufen können. Von Verstecken konnte also keine Rede sein.
Sie waren fast 50 als Bennett zur Welt kam. Kein Alter, in dem Hollywood Schauspielerinnen mit Aufträgen überhäuft . . .
Da haben Sie Recht. Aber darüber habe ich damals nicht nachgedacht. Wie ich mir überhaupt nicht in einer Tour darüber den Kopf zerbreche, denn dann würde ich vermutlich den Verstand verlieren. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Sexismus in der Branche gibt. Das ist leider die Realität. Ich habe gelernt, damit zu leben.
Das klingt fatalistisch!
Natürlich dürfen wir die Sache nicht totschweigen. Und tatsächlich ist das Thema ja seit einigen Jahren auch in den Medien recht präsent. Aber viel Veränderung sehe ich leider trotzdem nicht. Deswegen muss ich auch die Tatsachen akzeptieren und anerkennen, dass ich kaum etwas an der Situation ändern kann. Also mache ich das Beste daraus. Ich kann mich nicht beschweren: Ich war Zeit meines Berufslebens beschäftigt. Wobei es natürlich geholfen hat, dass ich nicht nur im Kino, sondern auch beim Fernsehen und am Theater arbeite.
Haben Sie daran gedacht, selbst hinter die Kamera zu wechseln, so wie es Angelina Jolie und viele männliche Kollegen tun?
Oh, nein, das wäre nichts für mich. An meiner Fernsehserie „The Big C“ war ich als Produzentin beteiligt, aber das reichte mir. Als Regisseur einen Film zu verantworten, bedeutet in der Regel, dass man monatelang von morgens bis abends gegen Widerstände der unterschiedlichsten Art ankämpfen muss. Dafür muss man extrem selbstsicher sein, und ich zolle jedem Respekt, der das auf sich nimmt. Für mich kann ich mir das nicht vorstellen. Doch wer weiß, was die Zukunft bringt. Fragen Sie mich in fünf Jahren noch mal.