Zwei Podiumsgespräche beenden das Festival zum Thema Scheitern im Literaturhaus in Stuttgart. Die ukrainische Schriftstellerin Swetlana Alexandrowna Alexijewitschzieht eine durch und durch düstere Bilanz.

Stuttgart - So recht traute sich niemand auszusprechen, dass die russische Demokratiebewegung an Wladimir Putin gescheitert ist. In einem eineinhalbstündigen Podiumsgespräch im Literaturhaus Stuttgart am Sonntag beim „Festival des Misserfolgs“, das ganz dem Scheitern gewidmet war, fiel das Wort „Scheitern“ nur einmal. Dabei zog die ukrainische Schriftstellerin Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch, die 2013 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hat, eine durch und durch düstere Bilanz: „Die Menschen, die einst in Moskau ‚Freiheit! Freiheit!‘ gerufen haben, rufen heute ‚Putin! Putin!‘“. Russland sei ein Land des Krieges. Putins Regierung beschwöre das Gefühl herauf, man sei von Feinden umzingelt, und es gebe ewige russische Werte, für die es sich sogar zu sterben lohne.

 

Alexijewitsch montiert in ihren Büchern Stimmen und Erzählungen der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion zu einem Panoptikum postsowjetischer Befindlichkeit. Anekdotisch waren auch ihre Diskussionsbeiträge im Literaturhaus. Wie sie und eine Freundin von Nationalisten bedrängt wurden, weil sie es gewagt hatten, an einer Warteschlange vor einer Fleischerei Kritik zu üben; wie in einem überfüllten Wartezimmer der Stolz auf die Eroberung der Krim den Ärger über die katastrophale medizinische Versorgung im eigenen Land verdrängte – es wurde rasch klar, dass die Schriftstellerin nicht nur die russische Protestbewegung für gescheitert hält, sondern inzwischen ganz Russland als eine gescheiterte Zivilgesellschaft ansieht. Und auch für die Ukraine sieht sie eine düstere Zukunft angesichts der militärischen Intervention Russlands im Osten des Landes, die für sie außer Frage steht. Ihre Folgerung: „Ich sage das als Pazifistin: Der Westen sollte die Ukraine bewaffnen.“

Der Soziologe Mischa Gabowitsch, wissenschaftlicher Referent am Einstein-Forum in Potsdam, hatte alle Mühe, einen Hauch von Optimismus zu bewahren. Der Wissenschaftler hält es aufgrund seiner empirischen Studien noch für zu früh, das endgültige Scheitern der russischen Protestbewegung zu diagnostizieren – trotz massiver staatlicher Unterdrückung, innerer Differenzen und des Rückzugs vieler Oppositioneller ins Private. Paradoxerweise sei die soziodemografisch viel breitere Maidan-Bewegung in der Ukraine mit dem Sturz von Präsident Janukowitsch zwar wesentlich erfolgreicher gewesen, der Staat Ukraine aber sei wirtschaftlich und politisch gescheitert. Russland werde den Konflikt vermutlich über Jahre am Köcheln halten und damit eine Erholung des Landes verhindern.

Wesentlich optimistischer war es auch zwei Stunden zuvor in einem Podiumsgespräch über Wirtschaftskrisen nicht zugegangen. Wobei die Diskussion unter dem Titel „Die große Pleite“ darunter litt, dass sie zwischen dem betriebswirtschaftlichen Scheitern und dem Scheitern von Volkswirtschaften unzureichend unterschied. Dass Unternehmen auch einmal pleitegehen, gehöre zu einer gesunden Marktwirtschaft dazu. Darin waren sich die Schriftstellerin Nora Bossong, der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl und der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe einig. Aber wie steht es um ganze Länder? Natürlich ging es um Griechenland. Vogl warb dafür, die souveräne Entscheidung des griechischen Volkes gegen die Sparauflagen nicht zu ignorieren. Plumpe wies darauf hin, dass der griechische Wähler – Souveränität hin oder her – nicht darüber entscheiden könne, ob deutsche und lettische Steuerzahler Griechenlands Kredite finanzierten. Immerhin vermieden die Teilnehmer die unproduktive Diskussion, ob der Kapitalismus an sich gescheitert sei. Stattdessen einigte man sich darauf, dass auch Banken pleitegehen können müssen, denn ein „too big to fail“ („zu groß, um zu scheitern“) der Großbanken sei, wie es Werner Plumpe ausdrückte, ein „antikapitalistischer Putsch im Kapitalismus“.

Beide Gespräche litten unter der mangelnden Trennschärfe ihrer Fragestellungen. Daher bewegte sich, was eigentlich erreicht werden sollte, ein Dialog über das Scheitern aus unterschiedlichen Perspektiven, stets am Rande des Scheiterns. Mit rund tausend Besuchern sieht die Leiterin des Literaturhauses, Stefanie Stegmann, das dreitägige „Festival des Misserfolgs“ allerdings nicht als gescheitert an.