Am Ende vom Anfang sprechen: Nach zehn Jahren in Ludwigsburg ziehen der Festspiel-Intendant Thomas Wördehoff, seine Mitarbeiter und Freunde Bilanz. Der Leser erfährt Spannendes auch zwischen den Zeilen.

Ludwigsburg - Im Mai haben die Ludwigsburger Schlossfestspiele 2019 begonnen, es ist die letzte Spielzeit von Thomas Wördehoff. Er weigert sich standhaft vom Ende seiner Intendanz zu sprechen, solange nicht der letzte Ton des letzten von ihm verantworteten Konzerts verklungen ist. Stattdessen hat er die Saison scherzhaft mit „Alles auf Anfang“ überschrieben – und nun auch noch ein Buch mit dem Titel „War das jetzt der Anfang?“ vorgelegt. Darin kommen – neben dem Intendanten – Künstler und Mitarbeiter zu Wort, die seine Arbeit in den letzten zehn Jahren begleitet haben.

 

Wiederholt haben Musikkritiker mit dem Begriff Crossover versucht zu umschreiben, was ein Konzert oder eine Saison des Festivals seit Wördehoff so besonders macht. Am Anfang war das nötig, denn dem Stammgast der Ludwigsburger Festspiele war bis dahin der musikalische Flirt mit einer anspruchsvollen Folklore oder ein Wildern beim Jazz eher fremd. Das Publikum musste sich an die Eskapaden des neuen Intendanten erst gewöhnen – und es tat sich schwer damit.

Probleme mit dem Crossover

Auch Wördehoff selbst hat sich mit „grenzüberschreitender Musik“ schwer getan, wie er bekennt: „Am Anfang meiner Intendanz ließ ich mich breitschlagen, unser Orchester als Weichspül-Hintergrund für die Scorpions zur Verfügung zu stellen. Nichts, worauf ich stolz bin.“ Im typischen Wördehoff-Sound fügt er hinzu: „Ich bin der festen Überzeugung, dass bei verschärften Fällen von Crossover Strafzölle erhoben werden sollten.“

Am Ende musste Wördehoff „Strafzölle“ zahlen. Allerdings nicht für die Scorpions-Eskapaden, die 5000 Fans begeistert hatten, sondern weil er John Cage aufführen ließ und Musiker wie Marc Ribot einlud. Das nahm ihm das Publikum übel und blieb den Aufführungen fern.

Schlossfestspiele sind politischer geworden

Natürlich steht nichts davon in der kleinen Bilanz zum Ende der Ära Wördehoff. Aber man kann es erahnen, wenn sich die Autoren an diese Zeiten erinnern. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt, und die Zuhörer sind nicht nur wieder zurück, sie lassen sich bereitwillig auf Wördehoffs Experimente ein, die gegen Ende hin zunehmend politischer wurden.

„Der Sauerstoff der Musik ist die Wirklichkeit“, schreibt Wördehoff. „Musik kann man nicht in einem politikfreien Raum machen“, meint der Pianist Igor Levit, der nicht nur häufig in Ludwigsburg aufgetreten ist, sondern in diesem Jahr auch die Eröffnungsrede gehalten hat.

Als einen seiner aktuellen Heroen nennt Wördehoff den belgischen Musiktheaterregisseur Alain Platel, der in seinen Inszenierungen Johann Sebastian Bach mit der Musik der Vorstädte kreuzt oder Mozarts „Requiem“ aus afrikanischer Perspektive zeigt. Also doch wieder Crossover? „Nein“, sagt der Intendant, „hier geht es um die Aufhebung von Genres.“

Selbstironie bewahrt vor Selbstbeweihräucherung

Bei einem solchen Buchprojekt zum Ende einer Intendanz ist die Gefahr groß, dass sich einer ein Denkmal setzt. Dass Wördehoff dieser Verlockung nicht erlegen ist, ist zu einem Gutteil seinem ironischen Naturell zu verdanken, das auch die Fähigkeit zur Selbstironie umfasst.

Außerdem sollten die Autoren – die Liste reicht vom Dirigenten Pietari Inkinen über die FAZ-Musikkritikerin Eleonore Büning bis zum Stuttgarter Koch Vincent Klink – nicht nur über die Festspiele räsonieren. Sie durften ihren Gedanken über Musik freien Lauf lassen. Das ist dem Buch gut bekommen.