Vor 40 Jahren wurden die Pläne zum Bau von Stuttgart II mitten im Schönbuch verworfen. Die Filbinger-Regierung wies den ersten Naturpark aus.

Tübingen - Wir lassen uns den Schönbuch nicht zerstören!“ Was heute undenkbar ist, wuchs sich vor genau 40 Jahren zur konkreten Bedrohung aus. Das Naherholungsgebiet sollte einem Großflughafen geopfert werden. Und im März 1972 formulierte der Tübinger Landrat Oskar Klumpp im Rahmen einer Protestversammlung in der Dettenhäuser Festhalle den Kernsatz von der Zerstörung des Schönbuchs. „Ohne Oskar Klumpp wäre der Bau vielleicht nicht verhindert worden“, sagt Manfred Grohe heute. Der Fotograf hat damals mit vielen Fotos dazu beigetragen, dass der Bevölkerung anschaulich vor Augen geführt wurde, was für kühne Pläne die Landesregierung Ende der sechziger Jahre vorantrieb.

 

Damals war dem Flughafen Stuttgart-Echterdingen für das Jahr 1980 der Kollaps vorausgesagt worden. Also musste ein neuer Flughafen gebaut werden, so argumentiere damals die Filbinger-Regierung. Der Ort war schnell gefunden. Stuttgart II sollte mitten im Schönbuch platziert werden. Als Vorteile wurde neben der Nähe zur Landeshauptstadt ins Feld geführt, dass weite Teile des Waldgebiets in Landesbesitz sind und wegen der weitgehend unbewohnten Fläche nur wenige Menschen ein neues Zuhause hätten finden müssen. Den Umkehrschluss übersahen diese Strategen: dass genau diese dünne Besiedelung den Schönbuch zu einem von rund fünf Millionen Menschen im Jahr genutzten Erholungsgebiet machen.

Konkrete Pläne

Die Pläne waren konkret. Zwei Milliarden Euro sollte das Projekt kosten. Zwei Landebahnen waren geplant, 4000 und 2500 Meter lang. Schätzungen sprachen von 30 Flugbewegungen je Stunde, deren 400 am Tag. Der Tübinger Ortsteil Pfrondorf wäre drei Kilometer von der Startbahn entfernt gewesen, das Kloster Bebenhausen zwei. 1100 Hektar Wald sollten gerodet werden. Hundert Millionen Kubikmeter Erde wären bewegt worden, um die von Senken durchzogene Fläche zu nivellieren. Das mit 156 Quadratkilometer größte zusammenhängende Waldgebiet im Ballungsraum Mittlerer Neckar wäre zerschnitten und zerstört worden.

1969 gründete sich eine frühe Protestbewegung mit dem Titel Arbeitsgemeinschaft Schönbuchflughafen. An die Spitze stellte sich Landrat Klumpp, der allenthalben von einer „Wahnsinnsidee“ sprach. Bürgermeister, Gemeinderäte und große Teile der Bevölkerung schlossen sich an, darunter Professoren der Uni Tübingen. Die befürchteten, dass Fluglärm und entsprechende Erschütterungen Geräte in den Laboren beschädigen könnten oder die Arbeit in den Operationssälen der Klinik gestört werden. Auch der Schwäbische Albverein schloss sich der Protestbewegung , gemäß dem Motto: „Wenn Sie uns rufen, marschieren wir mit.“

Ministerpräsident Filbinger beugt sich dem Druck

Der politische Druck, der im März 1972 seinen Höhepunkt erreichte, blieb nicht ohne Wirkung in Stuttgart. Erst rückte der Ministerrat von den Plänen ab, und am 22. März 1972 – vier Wochen vor den Landtagswahlen – teilte Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) mit, dass der Schönbuch per Grundsatzbeschluss zum ersten Naturpark des Landes ausgerufen werde. „Das ist ein wichtiger Schritt in der Umweltschutzpolitik des Landes“, lautete nun die Meinung des Ministerpräsidenten.

Nach Landrat Klumpp wurde im Schönbuch eine 300 Jahre alte Eiche benannt. Auf einer Holztafel ist zu lesen: „Zur Erinnerung an Oskar Klumpp Landrat 1963 – 1973 Beschützer des Schönbuchs“. Noch Jahrzehnte später wurde in Pfrondorf eine Waldklause mit Spielplatz spöttisch als „Flughafenrestaurant“ bezeichnet. Bei „Flughafenrestaurant“ bezeichnet. Bei Menschen wie Manfred Grohe wurden erst jüngst Erinnerungen an die Großflughafenpläne wach, als Daimler das Hofgut Einsiedel am Schönbuchrand bei Kirchentellinsfurt als Standort für eine Teststrecke in Erwägung zog. Ein zweites Mal erhob sich der Protest, ebenfalls erfolgreich. Daimler möchte nun bei Immendingen bauen. Längst ist Stuttgart I erweitert worden – und Stuttgart II in Vergessenheit geraten.