Die Horror-Nachrichten der vergangenen Tage werden von vielen Angela Merkel angelastet. Ihre Flüchtlingspolitik gilt als Stein des Anstoßes. Politisch wird es wieder ungemütlich – eine Analyse.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Angela Merkel wird an diesem Donnerstag erneut ihren Urlaub unterbrechen. Das zeigt, wie ernst sie die Gewaltserie der vergangenen Woche nimmt – schon gar die politischen Risiken, die daraus erwachsen könnten. Die Kanzlerin kann sich der landesweiten Verunsicherung nicht durch Wanderungen in Südtirol entziehen. Die Vorschläge, was jetzt zu tun sei, füllen bereits Bände. Da ist auch Merkels Wort gefragt. Für die Regierungschefin könnte dies ein Sommer des Missvergnügens werden, selbst wenn ihr Urlaub für den Rest der Zeit ungestört bleiben sollte.

 

Die Schreckensnachrichten der vergangenen Tage stellen Merkels Politik in Frage. Der Putschversuch in der Türkei und die diktatorischen Antworten des Präsidenten Erdogan, die islamistisch inspirierte Gewaltorgie in Nizza, der Amokschütze im Münchner Olympiapark, der Axt-Attentäter in Würzburg, der Messermord in Reutlingen und die Bombe in Ansbach – aus all diesen Eindrücken fügt sich ein Bild, das die Kanzlerin fürchten muss. Wer ihrem Kurs misstraut, wird sich bestätigt fühlen. Ihre politischen Widersacher formulieren das mehr oder weniger unverhohlen und gehässig. Es lässt sich in den Internetforen und Twitterbotschaften der AfD nachlesen. Dies ist aber nur das schrille Echo dessen, was auch in Kreisen diskutiert werden dürfte, wo die Wähler der Union zu Hause sind.

Die Kanzlerinnen-Dämmerung schien vertagt

Zuvor schien es, als sei die Kanzlerinnendämmerung erst einmal vertagt. Nach dem Pakt mit Erdogan über die Blockade der Balkanroute und nach dem Frieden von Potsdam im unionsinternen Kleinkrieg mit der CSU schien Merkel ihre persönliche Flüchtlingskrise überstanden zu haben. Die Zahl der Neuankömmlinge bot keinen Anlass mehr für Alarmismus. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer verzichtete auf weitere Provokationen. Die Umfragewerte der CDU kletterten wieder aus dem Keller. Das Zutrauen in Merkels Regierungskünste kehrte zurück – und damit ihre Popularität beim Wahlvolk. Mit jedem Schuss, jeder Bombe, jeder Terrornachricht zeigt diese schöne Fassade neue Risse.

Nun lässt sich die Gewalt von Ankara bis Ansbach nicht ohne Weiteres auf einen Nenner bringen. Der Selbstmordangriff in der fränkischen Kleinstadt ist nicht unmittelbar aus Merkels liberaler Flüchtlingspolitik herzuleiten. Gleichwohl wird hier deutlich, welches Gefahrenpotenzial der Zustrom Hunderttausender, nur lückenhaft kontrollierter junger Männer aus der Terrorzone Nahost schaffen kann. All die Vorfälle schüren Verunsicherung. Das wird stets den verantwortlichen Behörden, der Regierung und letztlich ihrer Chefin angelastet. Die fragile Lage in der Türkei gefährdet die Ruhe auf der Balkanroute und an den deutschen Grenzen. Niemand weiß, wie lange Erdogan noch geneigt ist, Europas Grenzwächter zu spielen.

In Schwerin könnten die Rechtspopulisten stärkste Kraft werden

Merkel muss damit rechnen, wegen ihrer Willkommenspolitik für Gewalt, die von Flüchtlingen ausgeht, pauschal haftbar gemacht zu werden. So war das schon nach der Silvesternacht in Köln. Dabei sind noch nicht einmal alle der dortigen Täter Flüchtlinge. Die meisten kamen schon vor dem Herbst der offenen Grenzen nach Deutschland. Ein islamistischer Hintergrund ist nicht bei allen Taten erkennbar. Solche Differenzierungen bleiben aber unbeachtet, wo sich politische Stimmungsmache entfaltet. Defizite der Asylverwaltung, die nun offenbar werden, dürften auf Merkels Konto verbucht werden.

In den aktuellen Umfragen mag sich das noch nicht eins zu eins abbilden. Von den Landtagswahlen im September haben Merkel und ihre Partei aber nichts Gutes zu erwarten. Schnell dürfte sich auch zeigen, wie belastbar der Burgfrieden in der Union ist. Seehofer hat auch so schon alle Mühe, die Merkel-Kritiker in der CSU ruhig zu halten. Er selbst hat bisher darauf verzichtet, Öl ins Feuer zu gießen. Vorschnelle Vorwürfe würden auf die Urheber zurückfallen. Schon vor der unglückseligen Gewaltserie war die Gefahr allerdings groß, dass AfD und NPD in Mecklenburg-Vorpommern, immerhin Merkels Heimat, zusammen ein Viertel der Wählerstimmen für sich verbuchen könnten. Das wären Zustände, die an das Ende der Weimarer Republik erinnern. Nun ist nicht einmal mehr auszuschließen, dass die Rechtspopulisten stärkste Partei im Schweriner Landtag werden – ein übles Omen für die Bundestagswahl 2017. Auch die Kanzlerin selbst blickt Zeiten großer Unsicherheit entgegen.