Anders als im Bund hat die Schuldnerquote in Stuttgart nochmals zugenommen, vor allem bei jungen Leuten. Fachleute sehen darin einen Nachhall der Krise von 2009.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Widersprüchliche Welten: nach einer gestern am Donnerstag vorgelegten Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft liegt Stuttgart, wenn es um Wohlstand und Arbeitsmarktleistung geht, hinter München auf Platz zwei in der Republik. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform präsentierte gestern am Donnerstag eine Untersuchung, die einen anderen Trend beschreibt: In der Region ist die Zahl der überschuldeten Haushalte gestiegen, anders als im Bund. Das geht auf das Konto der Landeshauptstadt.

 

Seit sieben Jahren stellt Creditreform bundesweit einen Schuldenatlas auf, diesmal hat die Auskunftei die Zahlen für die Region Stuttgart näher beleuchtet . Dabei hat sich herausgestellt, dass Baden-Württemberg in der Republik immer noch die zweitniedrigste Schuldnerquote (7,5 Prozent) nach Bayern (6,88 Prozent) hat. Insgesamt 662 .000 Personen im Land gelten als überschuldet, das sind 5000 mehr als ein Jahr zuvor. „Die leichte Verschlechterung in Baden-Württemberg ist fast ausschließlich auf den Anstieg in der Landeshauptstadt zurückzuführen“, sagt Credit-reform-Vorstand Helmut Rödl.

51.300 Stuttgarter verschuldet

Nach der Untersuchung können 173 .000 erwachsene Bürger in der Region, knapp 7,6 Prozent, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. In Stuttgart selbst waren im Oktober 51. 300 Menschen überschuldet, das sind zehn Prozent (Vorjahr: 8,9 Prozent). Mit diesem Wert liegt die Landeshauptstadt erstmals über dem Bundeswert von 9,38 Prozent.

Dabei ist eines unverkennbar: vor allem in der Gruppe junger Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren hat das Schuldenproblem besonders zugenommen. „Inzwischen sind mehr als ein Viertel der Überschuldeten unter 30“, sagt Helmut Rödl. Und noch etwas hält er für Besorgnis erregend: „Es gibt eine konjunkturunabhängige Sockelverschuldung, die sich verfestigt.“ So weisen rund 24. 100 Betroffene in Stuttgart einen sehr hohen Schuldenstand auf (47 Prozent, plus 1370 Fälle). Diese mehr oder minder „veränderungsresistente“ Gruppe habe in den vergangenen Jahren um fast zehn Prozent zugenommen.

Gründe für diese Entwicklung

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. So spielten Arbeitslosigkeit und sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse wie die wachsende Zahl von Minijobs und Zeitarbeitsverträge eine Rolle, die wachsenden Lebenshaltungskosten, genauso aber das Konsumverhalten der Betroffenen. Viele junge Leute gingen mit einer „gewissen Lockerheit und Leichtigkeit“ mit Geld und Schulden um.

Creditreform hat sich auch bei der Zentralen Schuldnerberatung erkundigt, was die Ursachen für den Anstieg sein könnten. Deren Leiter Wolfgang Schrankenmüller verweist auf eine Expertise des Diakonischen Werkes, die ergeben hat, dass im Krisenjahr 2009, als Stuttgart als die Hauptstadt der Kurzarbeit bekannt wurde, „zehn Prozent mehr Verbraucherkredite abgeschlossen wurden als im Jahr zuvor“. Ein großer Teil davon sei auf Anreize wie die Abwrackprämie der Bundesregierung und auf forcierte Finanzierungsangebote des Handels zurückzuführen. Jede dritte Autoneuzulassung sei per Kredit finanziert worden, erläutert Schrankenmüller. Somit wäre die steigende Zahl der überschuldeten Haushalte ein Nachhall der Krise, weil bei den Betroffenen der Aufschwung nicht angekommen ist.

Bestimmte Stadtteile sind „Schulden-Brennpunkte“

Während Stuttgart in der Studie Neue Soziale Marktwirtschaft in der Kategorie Hochqualifizierte Platz eins von 50 Städten belegt, zeigt die Untersuchung von Creditreform: in Stadtteilen wie in Mitte, wo die Schuldnerquote zum Teil bei 25 Prozent liegt, oder in Bad Cannstatt und im Westen nimmt die Verschuldung der Haushalte weiter zu.

Mit Blick auf die Zukunft fordert Helmut Rödl nicht nur eine „verantwortungsvolle Kreditvergabe“ der Institute. Vor allem müsse das Präventionsangebot in Schulen verbessert werden, „dass junge und jüngste Menschen mehr Finanzkompetenz bekommen“, sagt der Creditreform-Vorstand. Dies gelte nicht zuletzt auch für den Umgang mit dem Internetshopping. „Es ist bedrückend, wie gering die Fähigkeiten junger Leute im Umgang mit Geld zum Teil sind“, stellte Rödl fest. „Das wird von den Eltern vielfach nicht mehr vermittelt. Die meinen, die Schule macht’s, und die verlässt sich auf die Eltern.“

Infos zur Erhebung

Methode Die Auskunftei Creditreform, die über einen großen Datenbestand zur wirtschaftlichen Situation von Haushalten verfügt, hat für ihren Schuldenatlas unter anderem berücksichtigt, wie viele Menschen wo eine eidesstattliche Versicherung abgegeben oder die Verbraucher-insolvenz beantragt haben. Auch „nachhaltige Zahlungsstörungen“ sind berücksichtigt. Seit 2004 wird der Schuldenatlas jährlich aktualisiert.

Städtevergleich In Baden-Württemberg belegt Stuttgart bei der Schuldnerquote unter den 43 Landkreisen und kreisfreien Städten Platz 41 mit 10,02 Prozent, vor Pforzheim (12,20) und Mannheim (12,31). Platz eins belegt der Kreis Tübingen (5,1 Prozent), vor dem Main-Tauber-Kreis (5,31) und dem Alb-Donau Kreis (5,58). Der Landkreis Böblingen kommt auf Platz sechs (6,29), Esslingen auf Platz 18 (6,91 Prozent), Ludwigsburg auf Platz 25 (7,30). Der Rems-Murr-Kreis liegt auf Platz 28 ( 7,40 Prozent), der Kreis Göppingen auf Platz 32 (bei einer Schuldnerquote von 7,62 Prozent).

Brennpunkte In Stuttgart wurden die höchsten Schuldnerquoten in einem Teil von Mitte (25,22 Prozent), im Hallschlag und in Münster (14,21), in Bad Cannstatt (15,94) und im Westen mit 15,65 Prozent festgestellt