Die Komponistin Elena Mendoza und der Regisseur Matthias Rebstock haben ihr drittes gemeinsames Opernprojekt entwickelt: „Der Fall Babel“ dreht die Zeitachse und die Bewertung der biblischen Geschichte um und umspielt raffiniert das reiche Beziehungsfeld von Sprache und Musik.

Schwetzingen - Don’t touch – nicht anfassen! Streng weist die Reiseleiterin mit dem Finger auf das zweigeschossige Gebäude, das kurz zuvor noch auf der Drehbühne permanent um sich selbst gekreist ist. Jetzt ist es ein Museumsstück, und staunend lernt die Reisegruppe der Zukunft davor schier Unglaubliches: dass es hier früher unterschiedliche Kulturen und verschiedene Sprachen gegeben hat, an deren Verständnis Übersetzer gearbeitet haben. Dann trotten die Besucher davon, uninteressiert die einen, kopfschüttelnd die anderen.

 

Das Ende ihrer dritten musiktheatralischen Stückentwicklung, die Elena Mendoza(als Komponistin, aber nicht nur) und Matthias Rebstock (als Regisseur, unter anderem) als Eröffnungspremiere der Schwetzinger Festspiele im Rokokotheater zur Uraufführung brachten, kehrt die Zeitachse und die Bewertung der alttestamentarischen Geschichte rund um die babylonischen Hybris und Sprachenverwirrung um: Auf die Zerstörung einer Welt der Vielfalt, Farben und Gegensätze folgt die Dystopie einer so unparadiesischen, reizlosen Einheitswelt, dass die biblische Strafe Gottes unbedingt als Glücksfall begriffen werden müsse.

Das Stück ist ein Fest der Diversität

„Der Fall Babel“ ist aber nicht nur ein intellektuelles Gedankenspiel rund um eine alte, schon vielfach und vielfältig gedeutete Geschichte. Sie ist auch ein Fest der Diversität, das mit sehr eigenen Mitteln gefeiert wird. Mendoza und Rebstock haben Szene, Licht, das Spiel zweier Schauspieler, Gesang und Aktionen der von Walter Nußbaum mit höchstem Engagement geleiteten zwölfköpfigen Schola Heidelberg, virtuose Passagen dreier Schlagzeuger sowie fein und farbig eingesetzte (Live-)Elektronik nicht getrennt voneinander, sondern gemeinsam entwickelt. Das kann man hören, wenn ein Schlagzeuger über die Tonhöhen einer Klangschale kommuniziert, und das kann man auch sehen, wenn die im Haus verteilten Sänger virtuose polyfone Performances aus Wortsilben und rhythmisch präzise platzierten Büro- und Alltagsgeräuschen zelebrieren.

In den drei um- und ineinander geflochtenen Erzählsträngen geht es um Facetten von Sprache, Fremdheit und Begegnung: Fabio Morábito erzählt in „Los Vetriccioli“ von einer Übersetzerdynastie, in Yoko Tawadas „Bioskoop der Nacht“ sucht eine Frau nach der Sprache ihrer Träume, und Cécile Wajsbrots Hörspiel „W wie ihr Name/Avec un double V“ stellt einer Deutschlehrerin, die sich ihres Herkunftslandes schämt, eine Französin gegenüber, die bei ihr die Sprache des Feindes lernen muss. Die von Bettina Mayer entworfene Bühne dreht sich, gibt ständig neue Sichten auf die treppauf, treppab laufenden Akteure frei, Elena Mendozas Vokalsätze sind von irisierender Schönheit, die Perkussionisten spielen mit Farben und Klängen, die Elektronik zaubert. Auch wenn manches ein wenig zu lang geraten sein mag, so ist der Gesamteindruck doch eminent stark. Und wer in diesem labyrinthischen Zauberwürfel, in dem alles, auch das nur Klingende, durch und durch Sprache ist und alles Gesprochene Klang, nicht alles verstanden haben sollte, der muss sich nicht grämen: Er ist nicht allein. Im Übrigen will dieses aufwendige Festspielstück, das nur zwei Mal im Rokokotheater gezeigt wurde, überhaupt nicht begriffen, sondern vor allem als Gesamtkunstwerk gesehen werden. Und genossen: als Fest für Kopf und alle Sinne, über dessen eingestreuten Witz und (Selbst-)Ironie gerne auch mal gelacht werden darf.