Beim schwulen Sommercamp des DGB am Bodensee geht es um die sexuelle Orientierung, nicht um Sex, betonen die Veranstalter. Und wie ist das nachts?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Markelfingen - Sie haben schon am Lake Oklahomo die Friedenspfeife geraucht. Sie speisten vornehm im Grandhotel Gaypinski. Und sie lagen faul am Karibikstrand von Homolulu. Ein wenig schrill geht es beim schwulen Sommerjugendcamp des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) schon zu. Auch in diesem Jahr gibt es solch ein Motto: Auf dem direkt am Bodensee gelegenen Campingplatz bei Markelfingen (Kreis Konstanz) wird eine Welt der „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ aufgebaut. Am 29. August geht es los. „Auf, auf nach Gayrut“, wirbt der DGB im Internet und kündigt an: „Aladin empfängt die Wunderschlampen“.

 

Wenn man so will, dann ist Joachim Stein dieser Aladin. Seit mehr als 20 Jahren leitet der heute 57-Jährige, der als Verwaltungswirt beim Stuttgarter Stadtjugendring beschäftigt ist, das etwas andere Jugendcamp. Bei aller frivolen Fröhlichkeit betont er den Ernst der Sache. Es gebe Workshops zu Partnerschaft, Gleichstellung, Aids und Coming-out. Und auch wenn sich die meisten Teilnehmer gegenüber ihren Eltern oder im Freundeskreis bereits zu ihrer Homosexualität bekannt hätten, habe er auch immer wieder ungeoutete Jugendliche aus der Provinz dabei. „Die fordern von mir dann eine neutrale Anmeldung, die sie ihren Eltern zeigen können.“ Da steht alles drin, nur nicht das Wörtchen „schwul“. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht wegen dieses Tricks. Manchem habe das Camp dabei geholfen, zu sich selbst zu stehen, ist Stein überzeugt. Im zweiten Jahr habe es jedenfalls noch jeder mit der offiziellen Einladung geschafft. Übrigens erleben auch szeneerprobte Großstadtschwule das rosarote Zeltlager als befreiend. „Wir bieten für eine Woche eine Insel, wo die Teilnehmer davon ausgehen können: Hier sind alle so wie ich.“

Endlich gefahrlos flirten

Eben diesen kleinen Unterschied schätzt auch der 19-jährige Valentin aus Stuttgart. „Hier muss ich mich nicht zurücknehmen“, sagt der Mechatroniker. Die Mama weiß Bescheid. Nun freut er sich darauf, eine Woche lang gefahrlos zu flirten. Heterosexuelle Männer fänden es oft nämlich gar nicht lustig, wenn Mann ihnen schöne Augen mache.

Zum ersten Mal hat Valentin beim Stuttgarter Christopher Street Day 2012 einen Sommercamp-Flyer in der Hand gehabt. „Doch da war ich noch zu jung.“ Wer mit will, muss mindestens 16 Jahre alt sein. Das sei eine Aufsichtsfrage, sagt Stein. „Sonst muss man ja ständig am Bett stehen.“

Nachts geht’s schon mal zur Sache

Der 45-jährige Peter Schwab war einst selbst Teilnehmer, inzwischen ist er als Betreuer dabei. „Es geht bei dem Camp um die sexuelle Orientierung, aber nicht um Sex“, sagt er. Dass alle nachts brav auf ihren Pritschen lägen, entspreche allerdings im Anbetracht von 70 jungen Teilnehmern auch nicht ganz der Wahrheit. Immerhin: Es gibt ein No-Sex-Zelt als Rückzugsraum.

Obwohl das Jugendcamp schon bald ins 25. Jahr geht, hat es bisher nicht die Aufmerksamkeit der christlich-fundamentalistischen Bildungsplangegner erregt. Am Bodensee erfreut es sich hingegen einer gewissen Prominenz, was auch an den traditionellen Landgängen auf das heterosexuell dominierte Festland liegen dürfte. Dann wird, bunt verkleidet und geschminkt, der nächste Baumarkt oder die Meersburger Uferpromenade heimgesucht. Für diese Exkursionen, intern „Tuntensturm“ genannt, habe man einen kleinen Fundus angelegt.

Ab und zu müsse aber auch geshoppt werden. Der Einzelhandel im nahe gelegenen Radolfzell weiß das. Manches Schuhgeschäft hält Damenschuhe in Übergrößen bereit – und hat ein Sektchen kalt gestellt.

Es ist nicht so, dass sich der große alte DGB mit dem Schwulencamp von Anfang an leichtgetan hätte. Der Zeltplatz mit Seezugang besitzt eine Tradition in der Gewerkschaftsarbeit, und er wird auch von Familiengruppen, Betriebsräten und Funktionären genutzt. Im Duschhaus soll Walter Riester, bevor er als Bundesarbeitsminister zum Namensgeber der gleichnamigen Rente wurde, persönlich die Wände gekachelt haben.

„Es gab Ressentiments“, erzählt Schwab. Sie sind aber längst überwunden, zumal es mit dem Küchendienst und dem Putzen der Sanitärräume bei keinem Zeltlager so gut klappt wie hier. Er kenne auch keine Freizeit, die mit so viel Liebe fürs Detail vorbereitet werde wie diese, lobt der Jugendbildungsreferent Jonas Weber. Ja, „ein gewisser Hang zur Dekoration“ sei wohl nicht zu leugnen, räumt Schwab ein.

Walter Riester verlegte die Fliesen

Dass sich Teilnehmer einer Sommerfreizeit ineinander verliebten, findet der Bildungsreferent Weber übrigens ganz normal. „Das kenne ich auch von der evangelischen Jugend“, sagt der 28-Jährige. Und in einem Punkt könne man ja ganz gelassen sein, meint der Camp-Chef Stein: „Schwangerschaften hat es bei uns noch nie gegeben.“