Veto aus München: Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer ist über die Flüchtlingspolitik der Regierung verärgert. Deshalb legt er bei wichtigen Vorhaben der großen Koalition Widerspruch ein.

Berlin - Alle Augen richten sich auf die Flüchtlingspolitik. Aus diesem Grund fällt nicht so schnell auf, dass auf anderen Politikfeldern in Berlin nur mit halber Kraft regiert wird. Ein Stück weit lässt sich dies mit der Fokussierung auf die Zuwanderung erklären: Sowohl die Kanzlerin Angela Merkel als auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier sind von morgens bis abends mit der Asylpolitik ausgelastet. Das kann aber keine Begründung dafür sein, dass es bei wichtigen Themen nicht vorangeht. Schließlich geht das Tagesgeschäft in den Ministerien weiter. Auch in den Fraktionen arbeiten die Fachpolitiker emsig an Gesetzentwürfen.

 

Es ist aber nicht zu übersehen, dass der Stau an ungelösten Aufgaben größer wird. Beispiele gibt es viele: Seit mehr als einem Jahr sucht die Regierung eine Strategie zur Förderung der Elektromobilität. Stillstand herrscht auch bei den Bund-Länder-Verhandlungen über den Finanzausgleich und die Zukunft des Solidaritätszuschlags. Als Zankapfel kommen die Themen Zeitarbeit und Werkverträge sowie die Reform der Erbschaftsteuer hinzu. Dass CSU-Chef Horst Seehofer die beiden wirtschaftspolitisch wichtigen Vorhaben auf Eis legt, überrascht. Denn zu beiden Themen liegen fertig ausgehandelte Entwürfe vor. An den Nachbesserungen zur Erbschaftsteuer war sogar die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt beteiligt. Das Verhandlungsmandat der CSU-Statthalterin in Berlin reicht offensichtlich nicht weit.

Die Kanzlerin übergeht die Interventionen aus München

Seehofer weiß, dass für den Standort bei der Erbschaftsteuer viel auf dem Spiel steht. Auch nach der Einigung sind noch kleinere Korrekturen möglich. Ob der CSU-Chef dies erreicht, indem er die Erbschaftsteuer zur Chefsache erklärt, ist ungewiss. Nicht nur der SPD, auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dürfte Seehofers Vorgehen zutiefst missfallen. Der Grund für die Blockade ist nach Meinung von Koalitionären in der Flüchtlingspolitik zu suchen. Seehofer forderte nach dem EU-Gipfel ein Treffen der Koalitionsspitzen, um über die Zuwanderung zu beraten. Seit einem Monat mahnt er außerdem an, dass das Kanzleramt seinen Brief beantworten müsse, in dem er eine Klage vor dem Verfassungsgericht androht.

Die Kanzlerin hat bisher weder Seehofers Brief beantwortet noch ist sie auf die Forderung nach einem Koalitionsgipfel eingegangen. Merkel übergeht die Interventionen aus München einfach – und lässt Seehofer machtlos erscheinen. Seehofer wiederum scheint zu glauben, mit dem mehrfachen Veto aus Bayern ein Spitzentreffen erzwingen zu können. In der Koalition wird auch vermutet, dass er Verhandlungsmasse für Tauschgeschäfte sammelt. Diese Koppelgeschäfte könnten so aussehen: Wenn die CSU bei der Neuregelung der Zeitarbeit mitmacht, werden einige Forderungen bei der Erbschaftsteuer erfüllt. Mit dieser Strategie war die CSU bisher erfolgreich.

Seehofer könnte sich verzocken

Ob das Kalkül aufgeht, ist offen. Die Stimmung in der Koalition ist jedenfalls schlecht. „Die CSU zerstört die Geschäftsgrundlage des Koalitionsvertrages“, sagte SPD-Fraktionsführer Thomas Oppermann. Die SPD ist über die Hinhaltetaktik der CSU auch verärgert, weil sie beim Thema Zeitarbeit und Werkverträge seitens der Gewerkschaften unter Druck stehen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte strengere Regeln bei Werkverträgen vorgesehen und musste ihren Entwurf auf Druck des Kanzleramts entschärfen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft sind jetzt sehr zufrieden. Mancher Wirtschaftslobbyist befürchtet, dass die Gewerkschaften das Zaudern der CSU zum Anlass nehmen könnten, vom Kompromiss wieder abzurücken. Oberstratege Seehofer muss aufpassen, dass er sich nicht verzockt.