Fünf Jahre hat er als Seilbahnfahrer gearbeitet, jetzt ist Antonio Zampilli mit 63 Jahren in Rente gegangen. Viele der Stammfahrgäste kennen ihn einfach nur als „Toni“ und werden ihn vermissen.

Stuttgart - Für viele Außenstehende ist es ein langweiliger Beruf. Die Vorstellung, täglich nichts anderes zu tun, als mit einer Seilbahn vier Minuten lang einen Hügel hoch- und anschließend wieder herunterzufahren, hat nicht viel mit einem Traumjob gemein. Für den ehemaligen Seilbahnfahrer Antonio Zampilli jedoch ist es eine Leidenschaft. Täglich wurde er gefragt, ob sie nicht langweilig wäre, seine Arbeit. Er hatte stets die gleiche Antwort parat: „Es kommt immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man das Leben sieht – und ich versuche viele Dinge so positiv wie möglich zu sehen.“

 

Die vergangenen fünf Jahre ist der 63-Jährige Tag für Tag mit der Seilbahn zwischen dem Südheimer Platz und dem Waldfriedhof gependelt. Dabei hat er eine Strecke von 536 Metern zurückgelget und eine Höhe von 87 Meter überwunden. Vier Minuten hoch, 16 Minuten Pause, vier Minuten runter. Seit einer Woche ist Zampilli jetzt im Ruhestand – und kommt trotzdem täglich an die Bergstation. An diesem Tag hat er sich sein Vesper mitgebracht und sitzt unter einem Sonnenschirm des Blumenladens. Immer wieder kommen ehemalige Kollegen und Fahrgäste vorbei, grüßen ihn und wundern sich, was denn „der Toni“ hier mache. „Wir sind hier oben eine richtige Familie“, sagt der gebürtige Italiener, unterstreicht seine Worte mit ausladenden Gesten und ergänzt schon fast entrüstet: „Ich kann doch nicht von einem auf den anderen Tag einfach aufhören hierher zu kommen!“

Direkter Kontakt zu den Fahrgästen macht den Unterschied

Nach einem Bandscheibenvorfall im Jahr 2009 ist er als Seilbahnfahrer eingesetzt worden – zuvor hatte er mehr als 20 Jahre Stadtbahnen durch Stuttgart gelenkt. Weil er aber nicht mehr eine komplette Schicht sitzend verbringen konnte, bat er darum, als Fahrer für die Seilbahn ausgebildet zu werden. „Hier sitzt man nicht die ganze Zeit, sondern bewegt sich sehr viel. Das ist besser für die Gesundheit“, sagt er und deutet auf seinen Rücken.

Aber nicht nur die Bewegung hat dem Stuttgarter gut getan. Ein entscheidender Unterschied zu den Schichten in der Stadtbahn sei der direkte Kontakt zu den Fahrgästen. „Sobald ich Menschen sehe, gehe ich auf sie zu“, sagt er und lächelt dabei. In den vergangenen Jahren sei er deswegen mehr als nur ein Seilbahnfahrer gewesen, sagt er: „Vielmehr gleichzeitig auch ein Zuhörer, Fremdenführer und Seelentröster.“

Zampilli erinnert sich an einen älteren Herren, den er vor kurzem auf seiner Fahrt zum Waldfriedhof kennengelernt hat. „Er sah sehr traurig aus“, sagt Zampilli und wird dabei nachdenklich. Vor wenigen Wochen hat der Fahrgast seine Ehefrau auf dem Friedhof beerdigt, mit Ende 80 ist er nun alleine, fährt vier Mal die Woche mit der Seilbahn zum Friedhof. „Ich habe gemerkt, dass er jemanden zum Reden braucht“, sagt Zampilli. Der Witwer redete, der Seilbahnfahrer hörte zu. Und als Zampilli sagte, dass es sein letzter Tag sei, weil er nun in Rente gehen würde, hatten die Männer Tränen in den Augen: „Das war ganz schwer für uns beide“, sagt Zampilli. Der ältere Herr habe ihn dann in den Arm genommen: „Als ob ich sein Sohn wäre.“ Dann ergänzt er: „Aber ich habe ihm gesagt, dass ich noch oft hier oben sein werde.“

Freude und Trauer liegen nah beieinander

Überhaupt liegen Trauer und Freude in der Seilbahn nah beieinander: Während die einen auf den Friedhof wollen, nutzen die anderen die Bahn als Ausflugsziel, besonders Familien mit Kindern. „Ganz wunderbar“ sei es, sie dann zu beobachten und sie mit offenen Armen zu begrüßen, wenn die Mütter den Kleinen erlauben würden, „schon mal zum Toni vorzulaufen“. Es sei immer ein bisschen wie Urlaub gewesen, die Strecke sei im Winter wie im Sommer malerisch. Eine Lieblingsjahreszeit habe er deswegen nicht. „Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gekommen.“

Zampilli seufzt denn ihm ist offenbar noch einmal bewusst geworden, wie sehr er seinen Berufsalltag vermissen wird. „Wenn man etwas liebt und man muss Abschied nehmen“, sagt er, „dann ist das natürlich traurig.“ Wer Toni kennt, der weiß: lange wird die Trauer nicht anhalten, peu à peu wird er sich verabschieden von den Wagen, den Mitarbeitern, den Stammgästen, denn: „Man muss auch loslassen können.“