Als prähistorisches Juwel feiern britische Archäologen eine just ans Tageslicht gekommene kleine Pfahlbau-Siedlung. Sie erlauben einen beispiellosen Einblick ins Leben der Menschen der Bronzezeit.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Als prähistorisches Juwel feiern britische Archäologen eine just ans Tageslicht gekommene kleine Pfahlbau-Siedlung. Sie lag fast dreitausend Jahre lang wie eine unberührte Zeitkapsel in einem Moorgelände im englischen Osten verborgen. Zwei Meter unter der heutigen Erdoberfläche ist ein Team der Universität Cambridge auf mehrere von Palisaden umzogene Rundhäuser gestoßen. Sie erlauben beispiellosen Einblick ins Leben der Menschen der Bronzezeit.

 

Ganze Hauseinrichtungen, Keramik, Schmuck, Waffen und Tierskelette sind an der Ausgrabungsstätte gefunden worden. Zu den Funden gehört unter anderem eine Kupferspindel, um die sich noch immer ein Webfaden windet. Ein Tonkessel, in dem noch immer der Kochlöffel steckt, soll sogar identifizierbare Essensreste enthalten. Abgelegte Kleider sind gefunden worden, Textilien, Glasperlen, Schmuckstücke aus fernen Ländern. Überreste von Kühen, Schafen, allerlei Wild und „wolfsähnlichen“ Hunden wurden ebenfalls ausgegraben.

Selbst eingetretene Fußspuren sind noch erkennbar

„Fast kommt man sich vor wie ein Eindringling“, beschreibt Mark Knight, Ausgrabungs-Direktor vor Ort, die Lage. „Normalerweise entdecken wir ein bisschen Töpferware und suchen daraus eine ganze Zivilisation zu rekonstruieren. Hier aber ist alles da. Hier sollten wir heraus finden können, was die Menschen in dieser Siedlung damals trugen, was sie gekocht, was sie gegessen haben. An was für Tischen sie ihre Mahlzeiten einnahmen, und auf was für Stühlen sie saßen.“ Selbst feingewobene Stoffe und in den Boden eingetretene Fußspuren sind bei den Ausgrabungen zutage gefördert wurden.

Dass aber der Bronzezeit-Weiler – unweit der heutigen Stadt Peterborough – so gut und mit einer solchem Fülle von Details so lange erhalten geblieben ist, verdankt sich einem für die Nachwelt glücklichen Zufall. Die zwei jetzt ausgegrabenen Rundhäuser von je neun Metern Durchmesser, sorgsam mit Eichenbalken erbaut und mit eleganten Torf- oder Strohdächern ausgestattet, standen nämlich einmal auf von Pfählen getragenen Plattformen in einem Fluss- und Sumpfgebiet am alten Lauf des River Nene. Die Häuser gingen offenbar, aus bisher unerfindlichen Gründen, in Flammen auf. Sie stürzten aber, bevor alles abbrennen konnte, ins Wasser. Dort müssen sie direkt von Schlick und Moor verschlungen worden sein. Ton- und Schlammschichten, durch die kein Sauerstoff drang, versiegelten sie fest die folgenden dreißig Jahrhunderte hindurch.

Das Pompeji von Peterborough

Zum ersten Mal in der britischen Geschichte sei es Archäologen gelungen, „direkt in ein Rundhaus der Bronzezeit zu spazieren“, schwärmt Mark Knight von der Entdeckung seiner Truppe. Bisher habe man von einem solchen Ort „nur träumen können“. Nun habe England sein eigenes, im Augenblick der Zerstörung fixiertes kleines „Peterborough-Pompeji“ gefunden.

Ein wässriges Pompeji, muss man hinzufügen. Ausgerechnet die Überschwemmungen in diesem Winter haben dem Cambridge-Team geholfen, seinen Schatz im bisherigen Umfang unbeschadet auszuheben. Mindestens drei weitere Häuser vermutet man auf dem Gelände. Bis Mai sollen die Ausgrabungen abgeschlossen sein.

In der Umgebung sind zuvor schon neun ebenfalls tadellos erhaltene hölzerne Boote, die mehr als 3500 Jahre alt sein sollen, gefunden worden. Schon jetzt könne man sagen, meinen die Bronzezeit-Forscher, dass es sich bei den neuen Funden im alten Bett des River Nene um die Wohnanlagen wohlhabender Menschen mit hohen handwerklichen Fertigkeiten handelte. Das „Pompeji“ von Peterborough bestätige nur, erklärt der Historiker Neil Oliver, „was für eine überraschend komplexe und anspruchsvolle Gesellschaft“ die britische Bronzezeit bevölkerte – und das lang bevor die Römer auch nur auf der Bildfläche erschienen.

Fast jeden Tag werden überraschende Funde ausgegraben

Auch für Mark Knight gehörten die Bewohner des ausgegrabenen Weilers „zur Spitze der Gesellschaft“ ihrer Tage. Mit ihren Glaskugel-Ketten, ihrer Fülle an Metallobjekten und feinen Textilien, der Vollständigkeit ihrer Werkzeuge und Keramik-Gegenstände und auch ihrer umfangreichen Tierhaltung müssten sie zu den Reichen im Lande gezählt werden. Möglicherweise, spekulieren die Forscher, seien diese Leute auf ihren Pfahlbauten keine Fischer, sondern Verwalter der Wasserwege gewesen. Vielleicht werde sich noch mehr heraus finden lassen, meint Direktor Knight zuversichtlich. Fast jeden Tag gräbt sein Team zu Beginn dieses Jahres auf dem Gelände neue und überraschende Funde aus.