Die Hohenloherin Gertrud Müller lebt seit Jahrzehnten in Gerlingen. Und sie engagiert sich voll für andere Menschen – auch für Kranke und Behinderte.

Gerlingen - Der Garten hinter dem großen Haus ist wunderschön und gepflegt, Bäume, Sträucher, ein Wasserlauf mündet in einem kleinen Teich, es grünt und blüht prachtvoll. Schmale Wege führen in kleinen Serpentinen den Hang entlang. In unauffälligen Unterständen wird gelagert, was der Gärtner zur Hand haben muss. Dieser große grüne Fleck mitten in Gerlingen ist ein Refugium für Gertrud Müller. Er ist Trost- und Erinnerungsort zugleich. Denn am Palmsonntag ist Bernhard Müller gestorben, ihr Mann.

 

Die „Liebe zur Natur und zur Kreatur“, erzählt Gertrud Müller, habe ihr ihre Großmutter Marie mitgegeben fürs Leben. 1938 kam sie zur Welt und wuchs in Oberstetten auf, einem Dorf mitten in Hohenlohe. Schaffen habe sie daheim müssen, während des Krieges sei fast ein Jahr lang die Schule ausgefallen, „da bin ich von der ersten in die dritte Klasse gekommen“. Der Vater blieb im Krieg, die Mutter heiratete wieder.

Anfangs der Fünfziger nach Stuttgart gegangen

Gertrud Müller verließ das Elternhaus Anfang der fünfziger Jahre. Haushaltshilfe wurde sie, bei einer Familie in Stuttgart. „In Stellung gehen“, hat man das damals noch genannt. „Ich war aber nicht das Dienstmädle, sondern hatte Familienanschluss.“ Die Handelsschule war die nächste Station. Und dann bewarb sie sich beim Forst – die Dienststelle im Weilimdorfer Fasanengarten suchte eine Mitarbeiterin. Gewächshäuser, eine Pflanzschule, wissenschaftliche Forschung, Aufzucht von Wellingtonien, Waldarbeit: das Wissen um die Natur habe sie dort vertieft. Und sie lernte, wie man mit einem behinderten Mitarbeiter und Kollegen umgehen kann – ihn akzeptieren, ihn machen lassen, was er kann. „Das war für mich die Schule fürs Leben.“ Wo sie doch Hauswirtschaftslehrerin werden wollte, aber das kam erst mit Mitte fünfzig. Zuvor heiratete sie, bekam drei Kinder, engagierte sich in Gerlingen, wurde 1978 Stadträtin für die CDU, für letztlich 26 Jahre.

Was sie in den Fünfzigern in der Forstdienststelle erlebte, das Miteinander mit einem Kollegen, der nicht alles perfekt konnte, der aber dennoch akzeptiert wurde, das sollte für Gertrud Müller fast zwanzig Jahre später wieder eine Rolle spielen. „Das ist damals einfach nicht an mir vorbeigegangen.“ Sie arbeitete beim therapeutischen Reiten in Leonberg mit, „und ich merkte, man kann behinderte Menschen nur so nehmen wie sie sind“. Anfang der Achtziger folgte ihr Engagement für eine Gruppe mit Behinderten, einmal im Monat, in der evangelischen und katholischen Kirche. Dann kam die Anfrage der Stadt, ob sie in einer Freizeitgruppe für behinderte Kinder mitarbeiten wolle. Die Orte dafür waren ein Pavillon der Breitwiesenschule – und ein Stand auf dem Wochenmarkt, um Bastelarbeiten und Kerzen zu verkaufen.

Ihre zweieinhalb Jahrzehnte in der CDU-Fraktion und im Gemeinderat möchte sie nicht vertiefen. Nicht immer sei sie wohlgelitten gewesen, betont aber: „Ich habe diese Arbeit aus tiefster Überzeugung gemacht.“ Für einen Parteienwechsel habe sie „nicht die Kraft gehabt“. Die steckte sie nach 2004, nach dem Ausscheiden aus dem Gremium, in das Engagement für die Fördergemeinschaft Pflege, die heute etwa 600 Mitglieder habe. Man unterstütze zum Beispiel die Sozialstation für die zeitintensive Pflege von Patienten, die Fitnessstation „Fünfzig Plus“ ist ein Werk des Vereins, der auch ein Auto für den Transport von gehandicapten Menschen unterhält. Naturschutzbund, Obstbauverein, Studien im Kolpinghaus, Kurse und Vorstandsamt bei der Volkshochschule kamen hinzu.

Planvoll mit der Zeit umgehen

Wie sie all dies geregelt bekam – mit drei Kindern, zu denen sich noch sechs Enkel gesellten? „Planvoll mit der Zeit umgehen, mit Disziplin, Einteilung, Unterstützung meines Mannes.“ Ihr seien die Menschen immer wichtig gewesen, die Menschen in Gerlingen. Ihre Großmutter habe gesagt: „Wir sind nicht alleine auf der Welt.“

Und dann muss sie schlucken, ihr Redefluss stockt. Immer wieder hat sie beim Erzählen „mein Mann“ gesagt. Bernhard Müller, mit dem sie seit 1962 verheiratet war, ist am 13. April überraschend gestorben. Seine Frau fand ihn leblos im Haus – nachdem er sie nicht, wie geplant, nach einem Vortrag in Stuttgart abgeholt hatte. Acht Tage später musste sich die Familie von ihm verabschieden. Die vielen Kunstwerke an den Wänden lenken ein bisschen von der Trauerkarte ab – sie füllen aber für Gertrud Müller nicht die Lücke im Haus.

Der Garten tröstet und erinnert zugleich. „Das war doch sein Ding. Jetzt muss ich mich alleine durchschlagen.“ Sie erzählt aber auch noch etwas: Die erste Anfrage für das Gespräch habe ihr Mann entgegen genommen. „Das hat ihn sehr gefreut.“ Sie schaut das Gegenüber an, den Anrufer vom April. Und sie lächelt.