Rund 155 Beherbergungsbetriebe mit 20 500 Betten gibt es in Stuttgart. Wie behaupten sich die kleinen Häuser? Wir stellen einige vor. Heute: das Hotel Azenberg.

Ruhige Halbhöhenlage in der Seestraße im Stuttgarter Norden: Das Hotel Azenberg liegt etwas abseits vom Schuss. Das Kongresszentrum Liederhalle und der Hauptbahnhof sind trotzdem zu Fuß schnell zu erreichen. Mit 58 Zimmern ab 100 Euro pro Nacht gehört das Azenberg zu den größeren Häusern unter den kleinen Hotels. Erbaut wurde es in den 50er Jahren auf den Mauern einer im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten Villa aus der Gründerzeit. „Bevor mein Vater ein Hotel auf der Ruine aufgebaut hat, waren die erhaltenen Stockwerke noch bewohnt“, erinnert sich die 91-jährige Eigentümerin Dorilyn Ott. Die Geschäftsführung hat sie mittlerweile in die Hände von Ulrich Bauknecht gelegt. Der 52-Jährige leitet das Hotel bereits seit gut 15 Jahren.

 

Schulden statt Erbschaft

Ursprünglich waren Dorilyn Otts Eltern Kaufleute. Sie sind, nachdem sie in den 1920er Jahren in die USA ausgewandert waren, zurück nach Stuttgart gekommen und hatten ein kleines Lebensmittelgeschäft am Marienplatz. Der Eigentümer des Geschäftshauses hatte andere Pläne mit dem Gebäude und kündigte dem Ehepaar. Als den Eltern das Grundstück mit der Ruine zum Kauf angeboten wurde, griffen sie zu. 1954, am Valentinstag, eröffneten Dorilyn Otts Eltern ihr Hotel mit nur wenigen Zimmern. Die Tochter wollte zunächst nicht in den elterlichen Betrieb mit einsteigen. „Mein Traum war es, Ärztin zu werden“, sagt sie, hat sich den Eltern zuliebe dann aber doch für den Hotelbetrieb entschieden:„Statt zu erben, musste ich Schulden übernehmen“, sagt sie über ihren Start als Hotelchefin.

Doch immerhin: Das kleine Hotel lief so gut, dass es 1970 mit einem Neubau erweitert werden konnte. Geschäftsführer Bauknecht: „Wir sind eines der wenigen, vielleicht sogar das einzige Hotel in Stuttgart, das noch ein Schwimmbad hat.“ Und nicht nur ein Schwimmbad bietet das Hotel, auch Sauna, Dampfbad, Fitnessraum und Massage. „Die gibt es auch für unsere Mitarbeiter“, sagt Bauknecht. Das Schwimmbad wäre allerdings nie gebaut worden, wenn sich die Ölkrise der 70er Jahre schon vor dem Bau angekündigt hätte. Die Lösung, um die Kosten für den Betrieb einzuschränken: „Wir sind eine Kooperation mit einer Schwimmschule eingegangen. Nachmittags können Kinder in unserem Bad schwimmen lernen“, sagt Bauknecht. Die Hotelgäste, darunter viele Geschäftsleute, schwimmen frühmorgens oder abends. Mit seinem Konzept setzt Bauknecht auf Nachhaltigkeit, sowohl was die Personalführung als auch was das Angebot für die Gäste angeht: „Wir haben während der Pandemie niemanden entlassen und bezahlen anständige Gehälter“, versichert er. Das ist seiner Meinung nach auch der Grund dafür, dass Mitarbeiter den Betrieb nur verlassen, weil sie im Rentenalter sind oder Familie planen. Die Zimmer sind so eingerichtet, dass sich alle Gäste wohlfühlen können: Holz dominiert. Die Betriebe, die mit der Einrichtung beauftragt wurden, sind in der Region ansässig. Und auch das Angebot zum Frühstück und kleine Snacks, die die Gäste bei warmem Wetter auf der Terrasse einnehmen können, stammen aus der Region.

Schon ganz andere Krisen gemeistert

Die Chancen für kleine Hotels gegenüber den Hotelketten sieht Bauknecht in dem Plus an Service: „Bei uns ist nichts standardisiert. Man kann noch per Brief reservieren und auch bar bezahlen. Das ist bei den Hotelketten oft nicht mehr möglich.“ Und auch auf die Wünsche der Gäste könnten kleine Hotels eingehen. Der Geschäftsführer: „Zwischen Mitarbeitern und Chef sind die Wege kurz. Dadurch kann schnell entschieden werden.“ Die Risiken sieht der 52-Jährige in der Unberechenbarkeit äußerer Einflüsse wie der Coronapandemie und der Inflation: „Das trifft uns härter als die großen Häuser, denn die haben mehr Spielraum als wir.“ Hoteleigentümerin Dorilyn Ott und ihr Mann, die immer noch regelmäßig in ihr Hotel zum Kaffeetrinken kommen, haben dafür nur ein mildes Lächeln übrig. „Wir haben ganz andere Krisen gemeistert“, sagt die 91-Jährige.