Die Scheidungsraten im Land sind hoch und die Patchwork-Familie ist in Mode. Das Wohlbefinden der Kinder wird dabei oft vergessen, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger

Stuttgart - Ferienzeit, Kinderzeit, glückliche Zeit. Das gilt vor allem, wenn Mama die eigene Mama ist und Papa auch der eigene Papa. Dann hinein ins Auto, ins Flugzeug, oder auch aufs Fahrrad, auf jeden Fall hinweg von der ollen Schule, den öden Hausaufgaben, den Zwängen des Alltagslebens und hinein ins volle Menschenleben: baden, schwimmen, spielen, lesen, wandern, nichts tun. So soll es sein.

 

So ist es aber häufig nicht, weil Mama nicht die eigene Mama ist und Papa nicht der eigene Erzeuger oder auch, weil einem die Geschwister aufgezwungen und nicht im ursprünglichen Elternhaus mit aufgewachsen sind. Patchwork-Familie nennt man das, und es ist sehr beliebt, wird gar nicht infrage gestellt, sogar gelobt oder gar als neuzeitliches Elysium gepriesen. Man kann schließlich nicht mit einem Partner ein ganzes Leben lang glücklich sein. Klar! Undenkbar! Eine Zumutung! Also heißt es, sich immer mal wieder etwas Neues anlachen, Kinder hier und da in die Welt setzen, sie mit anderen Teilzeitfamilien zusammenwürfeln oder auch im Haushalt der Frau – meistens trifft es die Frau – alleine lassen. Es ist ein Elend. Aber modern ist es eben auch.

Abwechslung muss nun mal sein. Auch wenn mancher oder manche im zweiten und dritten Partneranlauf immer wieder denselben Typus Mann oder Frau umgarnen. Die Promis leben das ja vor, und die Illustrierten sind voll von diesem und jenem Partnerwechsel unter Filmstars, Sportstars und Politikstars. Heißa juchhei, was für ein buntes Leben. Darauf hat der moderne Mensch schließlich Anspruch. Selbstverständlich! Die lebenslange Alt-Ehe ist doch so was von spießig. So was von langweilig. So was von vorgestern. Herzlichen Glückwunsch, Herr Lindner, Sie haben es rechtzeitig begriffen. Mal sehen, wie lange das Glück dieses Mal vorhält. Man ist eben heutzutage schnell frustriert und darf auch schnell wieder gebunden sein. Gewünscht und gesucht werden allenthalben Partner als perfekte Glücklichmacher. Aber leider, leider kommt diese Spezies ausgesprochen selten vor. Und so geschieht es eben, dass nicht alle Erwachsenen, die sich trennen, den Himmel auf Erden erringen. Für den Nachwuchs aber kann die verbreitete Bäumchen-wechsel-dich-Begeisterung in einer Katastrophe münden. Keines der Hin-und-her-Schiebemodelle taugt wirklich als Ersatz für ein Leben mit Vater, Mutter und Geschwistern. Ganz im Gegenteil:Es gibt Kinder, für die diese künstlichen und zeitraubenden Arrangements grausam sind.

Der Zeitgeist verlangt vielseitige Menschen

Da mag der Wochenend-Papa die allerschönsten Spielzeuge in einem geradezu himmlischen Spielzimmer für den Besuchssohn bereithalten; da mag das Kind nicht drei, sondern nur zwei Stunden alleine im Zug sitzen, bis es seinen Erzeuger einmal ein paar Tage lang genießen darf; da mag Papas Neue noch so lieblich zu lächeln versuchen: Das Kind leidet, wie auch immer die Eltern sich die Situation schönzureden versuchen. Denn all diese Modelle sind Modelle des sich stetig wiederholenden Abschieds – mal von der Mama, mal vom Papa, in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen, vor und nach den Ferien. Sie sind kinderfeindlich, reißen die Kleinen und auch die Größeren aus ihrem gewohnten Alltag, rauben ihnen Zeit für Ruhe und Besinnung. Sie sind Opfer auf dem Altar einer vermeintlich unabdingbaren, oft auch ehrenkäsigen Rigorosität unter Partnern, ganz abgesehen davon, dass die Eltern am Ende selbst leiden – auf welche Weise auch immer.

Doch der Zeitgeist findet es wunderbar, dass der Mensch so vielseitig ist und sein Leben so unterhaltsam gestalten kann.

Der Zeitgeist ist ein Egoist, geprägt von genusssüchtigen Erwachsenen. Ob sie dabei glücklich werden, ist eine ganz andere Frage. Bisweilen dauert es ein Weilchen, bis sich die klare Sicht wieder einstellt und die neu verbandelten Eltern womöglich feststellen, dass ihr taufrisches Glück, dem man die Geborgenheit seiner Kinder geopfert hat, dem alten Unglück verdammt ähnlich sieht.

Seltsam nur, dass der erotische Egoismus, der diese Entwicklung befeuert, in der öffentlichen Diskussion so selbstverständlich hingenommen wird. Wie es den Kindern ergeht, scheint nicht von Belang zu sein. Geradeso als sei es ein Menschenrecht, Nachwuchs in die Welt zu setzen und ihn dann in derart prekäre Verhältnisse zu drängen. Kollateralschäden bleiben nun mal nicht aus. Oft trifft es dabei auch die Frauen, die zurückbleiben und alle Lasten tragen. Denn was gehen den Bock die Lämmer an?

Natürlich gibt es in Ehen und Partnerschaften Unvereinbarkeiten, die nur durch eine Trennung befriedet werden können. Wenn überhaupt. Muss aber wirklich jede dritte Ehe in die Brüche gehen, wie die neueren Statistiken ausweisen?

Ob das nun mutwillig geschieht oder unausweichlich ist: Oft droht am Ende die Einsamkeit. Schließlich wird sogar der allererotischste Jungspund irgendwann alt und tattrig. Wie schön, wenn so ein Philemon dann neben seiner Baucis in der Herbstsonne sitzen und mit den höchsteigenen Enkeln Kuchen essen kann. Ohne Knochenarbeit an der Ehe freilich ist das nicht zu haben.