Die Erwartungen an Berlin sind gewachsen: Deutschland muss sich in Europa integrieren. Es muss aber auch Führungsverantwortung übernehmen, wenn es nötig ist.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

München - Alte Freunde sind stets willkommen. Das ist in der Politik nicht anders als im Privaten. Insofern hat US-Vize-Präsident Joe Biden mit seinem Besuch in Berlin und München Genugtuung ausgelöst. Das gilt erst recht für sein Bekenntnis zur transatlantischen Achse. Es schmälert die Sorge, die Obama-Regierung könnte sich von Westeuropa ab- und dem Pazifikraum zuwenden. Denn sicherheitspolitisch ist man enger aufeinander angewiesen als je zuvor, wenn auch in neuer Form: nur in der Arbeitsteilung lassen sich die nicht weniger werdenden Krisen noch meistern.

 

Die Amerikaner sind nicht nur kriegsmüde geworden. Auch wegen ihres gigantischen Haushaltsdefizit sind sie immer weniger willens, sich mit Truppenaufmärschen weltweit einzumischen. Ähnliches gilt für Europa, wo die Verteidigungshaushalte fast durchweg schrumpfen. So löst die Staatsschuldenkrise diesseits und jenseits des Atlantiks eine neue Phase der Sicherheitspolitik aus. Mehr Kooperation statt Konfrontation soll die Strategie sein – in der Erkenntnis, dass sich der Westen etwas anderes finanziell nicht mehr leisten kann. Ohne ökonomische Stabilität lässt sich keine dauerhafte Position der Stärke erlangen.

Europa wird sich von den USA stärker emanzipieren müssen

Das Gebot, enger zusammenzuarbeiten, umfasst auch den Gegner: Russland und China. Beide Großmächte sind offenbar bereit dazu, wie ihre hochkarätigen Regierungsvertreter auf der Münchner Sicherheitskonferenz betonten. Demnach wollen sie mit dem Westen lieber wirtschaftlich als militärisch konkurrieren. Gut so, auch wenn noch keine Abrüstung in Sicht ist.

Europa wird sich also sicherheitspolitisch von den USA stärker emanzipieren müssen, auch wenn es nicht so aussieht, als könne dies schnell gelingen. Der Bundesregierung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Als Wirtschaftsmacht und angesehener Partner kann sich Deutschland nicht mehr verstecken, wenn es unangenehm wird, sondern gehört in eine Reihe mit Frankreich und Großbritannien. Die Erwartungen an Berlin sind gewachsen.

Bei der Intervention in Mali haben die Deutschen die Franzosen fast im Stich gelassen

Deutschland muss sich in Europa integrieren, aber auch Führungsverantwortung übernehmen wollen. Nach dem Abzug aus Afghanistan kann die Regierung nicht mehr das Engagement am Hindukusch vorschieben, sondern sollte in Krisenfällen zur angemessenen Beteiligung bereit sein. Bei der Intervention in Mali haben die Deutschen die entschlossen agierenden Franzosen fast im Stich gelassen. Dieser Eindruck soll mit einem kleinen Shuttle-Service für afrikanische Soldaten, mit etwas Luftbetankung und 40 deutschen EU-Ausbildern in Mali kaschiert werden. Die Sorge, in Dauerkonflikte hineingezogen zu werden, mag gute Gründe haben. Pragmatismus darf aber nicht mit einem Beobachterstatus verwechselt werden, sonst leidet die Solidarität in der europäischen Allianz.

Ginge es nach Verteidigungsminister Thomas de Maizière, könnten die Partner wohl häufiger auf die Hilfe der Bundeswehr zählen. Gebremst wird er vom Koalitionspartner: Außenminister Guido Westerwelle erklärt lieber zuerst, was Deutschland nicht bereit sei zu tun. Und die Kanzlerin? Angela Merkel unterstützt intensiv den Rüstungsexport in alle Welt, hält sich ansonsten aber bedeckt. Auch mit symbolischen Aktionen wie dem Patriot-Einsatz in der Türkei wird die Regierung ihrer Verantwortung auf Dauer nicht gerecht – es sei denn, die Luftabwehrraketen helfen eine Flugverbotszone über Syrien durchzusetzen. Gerade in dieser diplomatischen Tragödie muss sie mehr bieten als Ratlosigkeit und Apathie. Die Bundesregierung macht nicht deutlich, dass sie eine aktive Ablösung Assads anstrebt. Die Massaker müssen beendet, der Vormarsch der Dschihadisten gestoppt und zumindest Schutzzonen für humanitäre Hilfe eingerichtet werden. Wenn die Regierung nicht einmal das forciert, verwundert es nicht, dass ihr sicherheitspolitisch wenig zugetraut wird.