Der Verein für Menschen mit Behinderung setzt sich seit 50 Jahren für mehr Mobilität im Alltag, bessere Freizeitmöglichkeiten und ein selbstbestimmtes Leben ein. Doch fehlt es an Personal.

Sindelfingen - Jürgen Hall weiß, wovon er spricht. Der 50-Jährige hat eine Tochter, die wegen einer spastischen Behinderung im Rollstuhl sitzt. „Als wir die Diagnose erfuhren, war das ein Schock.“ Die heute 26-Jährige hat die Winterhaldenschule in Sindelfingen besucht, eine sonderpädagogische Bildungs- und Beratungseinrichtung. Mit Erfolg. Sie kann heute selbst essen und ist in den Gemeinnützigen Wohn- und Werkstätten beschäftigt. Das Schicksal seiner Tochter hat Hall geprägt. Er hat sich zum Vorsitzenden des Vereins für Menschen mit Behinderung wählen lassen. In seinem Lebensalltag geht es nahezu ausschließlich um das Wohl und Wehe der Betroffenen. Zum 50-jährigen Bestehen des Vereins bereitet er nun Jubiliäumsfeiern vor. Und nicht nur das. „Wir müssen die Weichen für die Zukunft stellen“, sagt er, „der Hilfebedarf wächst enorm.“

 

Eltern waren früher mit ihren Problemen meist alleine

Die Zeiten, in denen behinderte Menschen ihre vier Wände kaum verlassen haben, sind vorbei. „Noch in den 1960er Jahren waren Eltern völlig auf sich alleine gestellt und wussten nicht, was sie für ihre behinderten Kinder tun können“, erklärt Hall. Eine Anlaufstelle für ihre Probleme gab es damals noch keine, ebenso fehlten Therapiemöglichkeiten.

Im Jahr 1968 trafen sich erstmals Eltern von behinderten Kindern, um Abhilfe zu schaffen. Sieben Familien gründeten einen Verein, der sich für Therapiemöglichkeiten einsetzte, Schwimmunterricht für Behinderte einführte sowie therapeutisches Reiten. Nach und nach wurden die Angebote erweitert. Dazu zählte der Bau einer Schule für Körperbehinderte im Jahr 1977, eines Kindergartens und eines Wohnheims. In jenen Jahren eröffnete der Verein auch seine erste Geschäftsstelle im Wohn- und Geschäftshaus Domo in Sindelfingen.

85 Busse im ganzen Kreis im Einsatz

Vor 40 Jahren schufen die Aktiven auch einen Fahrdienst, vier Jahre später waren 19 Busse im Einsatz. Auch hier ist der Bedarf rasant gestiegen. Zurzeit bringen insgesamt 85 Fahrzeuge die Kinder in die Schulen und holen sie wieder ab. Die Busse stehen auch für Ausflüge zur Verfügung, für Transporte von Behinderten zu den Therapieorten oder ins Krankenhaus.

Seitdem keine Zivildienstleistende mehr eingesetzt werden können, herrscht ein steter Mangel an Fahrern. „Wir könnten sofort einige einstellen“, berichtet Jürgen Hall. Auch für den ambulanten Pflegedienst sucht er händeringend nach geeignetem Personal. „Es fehlen uns mindestens drei bis vier Kräfte.“

Wohnungen für Behinderte im City-Quartier

Zusammen mit den geringfügig Beschäftigten kommt der Verein inzwischen auf insgesamt 240 Mitarbeiter. Sie bieten ihre Hilfe im gesamten Landkreis an. „Immer wichtiger wird für uns die Kurzeitpflege“, sagt Hall, wenn die Angehörigen selbst ins Krankenhaus müssen oder sich aus einem anderen Grund nicht um ihr behindertes Familienmitglied kümmern können. „Wir schauen dann, dass der Betroffene bei uns unterkommt“, sagt der Vereinschef.

Zu den bisherigen zwölf Wohnungen in der Eschenriedstraße, die vom Behindertenverein vorgehalten werden, sollen im September noch acht weitere in dem neu geschaffenen City-Quartier in Böblingen dazu kommen. Auch in anderen Bereichen soll das Angebot ausbaut werden. Neben dem Fahrdienst denkt Hall auch an mehr Freizeitaktivitäten. In Magstadt löse sich der dortige Wanderverein auf. „Wir wollen das Gebäude und das Grundstück künftig für unsere Zwecke nutzen“, erläutert er.

Ehrenamtliche leisten sich eine Mitarbeiterin im Büro

Um den ehrenamtlichen Vorstand sowie Jürgen Hall zu entlasten, der ganztags an der Winterhaldenschule als Hausmeister beschäftigt ist, hat der Verein jetzt eine Mitarbeiterin eingestellt, die zwei Tage in der Woche den Hilfesuchenden mit Rat und Tat zur Seite steht und organisatorische Aufgaben übernimmt. Jürgen Hall hat wohl wieder mehr Zeit für seine Familie.

Die Zahl der Mitglieder sinkt

Verein:
Die Mitgliederzahl ist seit einiger Zeit rückläufig. Sie ist auf 214 geschrumpft. Zeitweise lag die Zahl bei mehr als 300. Viele Betroffene erhalten an anderer Stelle Hilfe, zudem sind die bezahlten Therapiemöglichkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut worden. Der Verein macht einen Jahresumsatz von rund zwei Millionen Euro. Er erhält Leistungen von den Krankenkassen, vom Landkreis und von den Kommunen. Darüber hinaus finanziert er seinen Etat über Spenden.

Fahrdienst:
Für das operative Geschäft des Fahrdienstes hat der Verein im Jahr 1996 eine GmbH gegründet. Geschäftsführer ist Roberto Schmidt. Sie hat wie der Verein ihren Sitz im Haus Sommerhofen in der Sindelfinger Eschenriedstraße 42 (Telefon 0 70 31/7 08 00).

Jubiläum
: In der Sindelfinger Stadthalle ist am 15. Oktober eine Benefizveranstaltung geplant. Engagiert wurde die Frauenband Manon & Co.