Nach Jahren des Misserfolgs der deutschen Skispringer will der 27-Jährige Bayer Severin Freund bei der Vierschanzentournee dieses Mal seine gute Form nutzen und ganz vorne mitmischen.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Oberstdorf - In Oberstdorf herrscht der Frühling. Nur zwei weiße Schneezungen deuten an, dass es sich bei dem Ort im Süden der Republik um ein Wintersportparadies handeln könnte. Am Ortseingang von Fischen haben sie den Babylift künstlich beschneit, und über der Marktgemeinde Oberstdorf wacht in weißer Pracht die Sprungschanze. Der Rest ist grün, braun, matschig – doch dank der Präparationskünste kann es an diesem Montag losgehen mit der Qualifikation für das Auftaktspringen der Vierschanzentournee.

 

Als einer der Favoriten auf den Gesamtsieg dieser 64. Tournee wird zweifelsfrei der Niederbayer Severin Freund gehandelt. In frühlingshaften Farben präsentiert sich der Frontmann der deutschen Adler bei der Auftaktpressekonferenz: er trägt zur giftgrünen Jacke eine rosafarbene Schirmmütze und sieht aus wie Papagei. Sein Job ist es, die hohen Erwartungen so gut wie möglich in Grenzen zu halten. Freund spricht zwar gut gelaunt von einer tollen Vorbereitung, doch von Prognosen, die ihn zum Sieger machen, distanziert er sich vehement. „Das Wahrsagen habe ich nicht gelernt“, sagt er.

Severin Freund zählt zu den Favoriten

Severin Freund hat vor der Tournee schon mehrere Ausrufezeichen gesetzt. Er gewann zwei Einzelspringen, eines mit der Mannschaft und ist Zweiter des Gesamtweltcups hinter dem Slowenen Peter Prevc. Womöglich kam der kleine Einbruch des Deutschen zuletzt in Engelberg gerade recht, sonst hätten die Beobachter der Branche Freund schon als alleinigen Favoriten auf den Tournee-Erfolg ausgerufen und den Druck auf ihn damit unnötig erhöht. „Diesen einen Favoriten gibt es ohnehin nicht“, sagt Freund, dem es bestenfalls ein bisschen schmeichelt, dass er kraft seiner starken Leistungen im ersten Saisonabschnitt zu den Topjungs gezählt wird. „Alles, was bisher war, ist schön und es gibt Selbstvertrauen“, sagt Freund, doch damit soll es auch schon gut sein.

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, so abgedroschen es klingt – aber keiner weiß das besser als die deutschen Skispringer. Die haben in den vergangenen Jahren schon oft ausgerechnet beim Saisonhöhepunkt heftige Sturzflüge erlebt – auch Severin Freund. „In den letzten Jahren haben wir als Team hier nicht gerade grandios ausgesehen“, gibt der 27 Jahre alte Student und Zollbeamte zu. Damit sich diese gut erkennbare Tournee-Blockade bei der deutschen Equipe diesmal endlich löst, hat das Trainerteam keine Mühen gescheut und die bevorstehende Veranstaltung, die nach Oberstdorf noch an die Sprungschanzen in Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen führt, einfach mal im Sommer simuliert.

Geht das? Offenbar. „Wir sind die Tournee schon im Sommer abgefahren, haben die gleichen Hotels aufgesucht und die gleichen Abläufe studiert“, sagt der Bundestrainer Wolfgang Schuster. Gesprungen wurde auf Matten, nur eines, das habe die gewiefte DSV-Crew laut Schuster natürlich nicht hingekriegt: „Wir konnten keine 15 000 Leute an die Schanze bringen“, sagt der Trainer und lacht. Ansonsten soll die Trockenübung wunderbar geklappt haben. „Es war cool, die Tournee mal im Sommer zu machen“, sagt Freund.

Der Reisestress wird für die deutschen Adler minimiert

Der Sommertrip hat auch zu einem Umdenken geführt. Um den Reiseaufwand bei der Tournee zu minimieren, wird die deutsche Mannschaft sechs Nächte im selben Hotel verbringen. Das steht in Seefeld, von wo aus Garmisch und Innsbruck gut zu erreichen sind. Sechs Tage im gleichen Bett zu sein sei wichtig für die Regeneration, sagt Schuster, seine Athleten sollen in den kurzen Intervallen so viel wie möglich zur Ruhe kommen. Ohnehin ist das Tourneeprogramm so dicht, dass die kurzen Phasen zwischen den Springen fast genauso wichtig sind wie die Wettkämpfe selbst. Um vorne zu sein, muss einfach alles stimmen: das Umfeld, die Ernährung oder das regenerative Trainingsprogramm.

13 deutsche Skispringer sind mit dabei.

Jeder der anfangs 13 DSV-Athleten, die bei der Tournee an den Start gehen (für die beiden letzten Springen in Österreich sind nur noch sechs Deutsche dabei), hat da sein individuelles Programm. Den psychologischen Vorteil, den ein Beobachter bei Severin Freund vermutet, weil der sich erst in diesem Jahr verlobt hat, ist allerdings nicht von Belang. „Ich befinde mich schon sehr lange in einer relativ stabilen familiären Situation“, sagt Freund. Insofern sei der Vorbote für die künftige Hochzeit nichts, was ihn jetzt besonders überrascht habe.

Für den Bayern gilt nur eines: So zu springen wie bei seinen Siegen in Lillehammer und Nischni Tagil. Am besten noch ein bisschen weiter. „Nur so bist du bei der Tournee vorne dabei“, sagt Severin Freund, rückt sich die rose Mütze zurecht und geht.