Skitourismus in Not Letzte Abfahrt am Jenner
Als erstes Skigebiet in den bayerischen Alpen schließt Schönau am Königssee seine Piste. Wegen des Klimawandels wird es immer wärmer – da helfen auch keine Schneekanonen.
Als erstes Skigebiet in den bayerischen Alpen schließt Schönau am Königssee seine Piste. Wegen des Klimawandels wird es immer wärmer – da helfen auch keine Schneekanonen.
Rudi Keller, 83 Jahre alt, erinnert sich: „Der Jenner war unser Skiberg. Wir sind immer am Morgen vor neun rauf. Da war der Schnee noch so frisch. Da war es schön, Ski zu fahren.“ Der Architekt im Ruhestand hat sein Leben in Schönau am Königssee verbracht, der Jenner ist der Hausberg. Schönau liegt noch ein paar Kilometer südöstlich von Berchtesgaden, im ganz hintersten Zipfel Deutschlands. „Wir sind da alle fleißig gefahren, meine Generation hat mit dem Jenner gelebt.“
Jetzt, in der zweiten Februarhälfte 2024, lassen sich Wanderer und Ausflügler an der auf 630 Metern liegenden Talstation der Jennerbahn nach oben bringen, doch Skifahrer sind kaum da. Es hat frühlingshafte zwölf Grad. Ein Plakat verheißt: „Alles geht am Jenner.“ Doch die Tage sind gezählt, ab dem 4. März gilt: Skifahren geht nicht mehr am Jenner. Die Schneekanonen stellen dann die Produktion von Kunstschnee ein, die Piste wird nicht mehr präpariert. Jetzt zeigt sie sich noch als weißes Band, doch bald wird es am Jenner braun sein und irgendwann wohl grün. Ein Skigebiet wird aufgegeben, das erste in den bayerischen Alpen. Servus.
Und damit ist der Jenner ein Symbol, ein gewaltiger Einschnitt. Eine Folge des Klimawandels – es gibt immer weniger Schnee und immer wärmere Temperaturen, die auch die Arbeit von Schneekanonen binnen Minuten schmelzen lassen würden. An der Talstation hat der Skiverleih und Sportladen Räumungsverkauf, er macht dicht. Wer will Skier leihen, wenn es keine Piste mehr gibt?
Musste das so kommen, und was macht das mit einem Ort und seinen 5700 Einwohnern? Im Besprechungszimmer der Berchtesgadener Bergbahn AG, die alle nur die Jennerbahn nennen, sitzt Thomas Mühltaler. Er ist der Vorstand, verantwortlich für die Schließung des Skigebietes, und sagt: „Die Nachfrage ist nicht da.“
Nur zehn bis 30 Einheimische würden am Tag zum Skifahren kommen. Ähnlich sei es bei den vielen Touristen – alle wollen wandern, Tourenski gehen, einfach die Landschaft genießen. Hier ist er zu sehen, der Trend zu dem, was man „sanften Tourismus“ nennt. Die Bergbahn wird im Winter jährlich mit einer bis 1,5 Millionen Euro bezuschusst. Mit Geld, das im Frühjahr, Sommer und Herbst verdient wird. „200 000 glückliche Gäste fahren im Jahr mit dieser Bahn“, berichtet Mühlthaler. Kaum einer ist Skifahrer.
Die Wissenschaftszeitschrift „Nature Climate Change“ hat berechnet, dass bei einer Erderwärmung um zwei Grad im Vergleich zum Niveau vor der Industrialisierung die Hälfte der Skigebiete in Europa ein sehr hohes Risiko für Schneemangel haben werden. Auch die künstliche Beschneiung nützt demnach nichts, weil es nicht kalt genug ist.
Die betroffenen Regionen sollten ihre „hohe Abhängigkeit“ vom Skitourismus überdenken, heißt es. Seit langer Zeit wird das landauf, landab gesagt – von Wissenschaftlern, Naturschützern und den allermeisten Politikern. In den bayerischen Alpen liegen die meisten Skigebiete in Höhenlagen unter 2000 Metern. Einer aus der Seilbahnszene sagt: „Die wollen aber immer weitermachen mit immer mehr Schneekanonen und mehr Liften. Auch wenn es am Ende nichts bringt.“
Die von CSU und den Freien Wählern (FW) gestellte Bayerische Staatsregierung fördert das. Es gibt satte Zuschüsse für den Bau neuer Beschneiungsanlagen und Bergbahnen. Die Begründung: Man müsse den Skitourismus erhalten, damit nicht alle Urlauber nach Österreich oder Südtirol abwandern. Das Jennergebiet wurde aufgerüstet, im Jahr 2019 wurden noch eine neue und topmoderne Bahn eröffnet sowie weitere Beschneiungsanlagen in Betrieb genommen. 57 Millionen Euro hatte das insgesamt gekostet, 10,5 Millionen davon kamen vom Freistaat. Und oben auf der Bergstation hat man den großen Gastrobetrieb Jenneralm hingestellt.
Toni Wegscheider, 45 Jahre alt, stammt aus Schönau und lebt in Schönau. Er sagt: „Das war hier alles völlig überdimensioniert angelegt.“ Wegscheider ist vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und hat in Bayern zeitweise eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er hatte zusammen mit Helfern vor drei Jahren die im Freistaat bis dahin ausgestorbenen Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert.
Den elterlichen Hof hat Wegscheider übernommen. Mit seiner Frau vermietet er zehn Ferienwohnungen, verpachtet die Wiesen, arbeitet für den BLV, ist Wanderführer. Er sagt: „Ich bin hier der grüne Spinner.“ Schadenfroh will er nicht sein, doch meint er: „Das Aus für den Skibetrieb am Jenner hat der LBV schon 2018 vorhergesehen.“
Die Stadt Berchtesgaden, Schönau mit dem Jenner und dem bekannten Königssee sowie der Watzmann liegen nur ganz wenige Kilometer auseinander. Der Nationalpark Berchtesgaden grenzt direkt an – dort gibt es strenge Regeln für Besucher, die Natur soll sich ungestört entwickeln. Die meisten Menschen leben im Tal. Jeder scheint da jeden zu kennen, ziemlich gut, das ist mitunter eng und manchmal wohl auch beklemmend. Am Königssee werden die Massen durchgeschleust: Bootsfahrt zur Kirche St. Barthalomä, Rückkehr und dann rein in die Gassen mit Billigsouvenirs. Man erfährt, welche Anwesen am See gerade verrotten in der Hoffnung, den Grund lukrativ an einen Investor verkaufen zu können, für ein großes Hotel oder Ähnliches.
Die Jennerbahn ist da nur wenige Schritte entfernt. Rita Poser vom Bund Naturschutz Berchtesgaden ist dort zu treffen. Sie erzählt, was die Umweltschützer alles durchgesetzt haben: dass man die neue Bahn auf der bestehenden Trasse gebaut und keine neue in den Berg geschlagen hat. Dass an der Bergstation keine ausschweifenden, lärmenden Partys gefeiert werden.
Allerdings besitzt die Jenneralm oben ein Trauzimmer für besonders romantische Hochzeiten und auch einen Seminarraum für Firmenveranstaltungen. „Mit Bergstation hat das nichts zu tun“, kritisiert Poser. Es gibt aber auch Menschen wie Beppo Maltan, die das Skigebiet unbedingt erhalten möchten. „Ich bin komplett gegen eine Schließung“, sagt der Schönauer Gemeinderat und Fraktionssprecher der Freien Wähler (FW). „Riesige Fehler“ seien gemacht worden, und zwar „vor lauter Größenwahn“. Aufs Korn nimmt er vor allem die drei österreichischen Investoren, die die Bahn gekauft hatten. Maltan, 68, hatte einen Malerbetrieb, trägt einen Spitzbart und Baseballkappe. Die Österreicher, so kritisiert er, hätten „an den großen Skizirkus gedacht“. Man hätte viel günstiger bauen können, dann wäre jetzt mehr Geld da.
Schönau und der Jenner müssen sich aber wohl keine Sorgen machen, der Urlaub hier boomt. Die Bergbahn mit ihren Zehner-Kabinen und schönen beigen Sitzen ist gut besetzt und surrt nach oben. Dort auf der Bergstation im Restaurant Jenneralm auf 1800 Meter Höhe sind die Tische mittags voll mit Gästen. Es gibt einen tollen Panoramablick auf die mächtigen Berge. Draußen auf der Terrasse sitzen die Menschen in Scharen in der Sonne, manche im T-Shirt. Sie trinken Cappuccino, Saftschorlen und essen – zwei Weißwürstl mit kosten 8,50 Euro, ebenso wie eine Portion Pommes frites. Das läuft hier fast das ganze Jahr so. An Weihnachten 2023 hatte es 18 Grad in Schönau. Ans Skifahren denkt da wohl niemand mehr.