Das Solitude-Revival auf der ehemaligen Rennstrecke zieht am Wochenende tausende Motorsportfans an.

Leonberg - War das nicht gerade ein Tempo-80-Schild? Wahrscheinlich eine optische Täuschung. Sicher ist, dass Marc Lieb seinen Porsche 718 RS 60 Spyder auf der zwei Kilometer langen Büsnau-Geraden auf knapp 185 Stundenkilometer beschleunigt. Unter den roten Rennsitzen vibriert die Kraft eines 160-PS-starken 4-Zylinder-Boxer-Motors. Als die Höchstgeschwindigkeit kurz vor dem Waldhotel Schatten erreicht ist, steigt der Le-Mans-Gewinner von 2016 in die Eisen und bremst auf 50 km/h herunter, um die S-Kurve hinein ins Mahdental auf der optimalen Linie anzufahren. Der Geruch von verbranntem Gummi liegt in der Luft. Ist das der süße Duft des Mythos Solitude-Ring? Keine Zeit, nachzudenken. Unten im Tal drückt die Beschleunigung uns schon wieder in die Sitze. Die knapp zwölf Kilometer lange ehemalige Strecke, auf dem bis 1965 Rennen gefahren wurden, hat noch immer ein im Wortsinn atemberaubendes Profil.

 

So oder so ähnlich fühlt sich das Solitude-Revival vom Sitz eines der 431 Fahrzeuge an, die in diesem Jahr für das zweitägige Nostalgie-Event am vergangenen Wochenende gemeldet wurden. Zumindest, wenn ein Könner seines Fachs am Steuer sitzt. Die Faszination für den Motorsport vergangener Jahrzehnte scheint hier ungebrochen. Dröhnende Motoren, benzingeschwängerte Luft, der Rausch der Geschwindigkeit – das alles wirkt im Zeitalter von Dieselfahrverboten und Elektromobilität zwar wie aus der Zeit gefallen. Die Zuschauermassen strömen trotzdem – oder gerade deswegen.

Mit Motorsportgrößen in Erinnerungen schwelgen

Solitude-Revival am Glemseck, das heißt vor allem: zwei Tage mit den Motorsportgrößen vergangener Tage in Erinnerungen schwelgen. Die Promiliste ist denn auch lang am vergangenen Wochenende: Rennfahrer wie Hans Herrmann, Kurt Ahrens, der Weissacher Herbert Linge, Eberhard Mahle, Jochen Maas, Hans-Joachim Stuck, Walter Röhrl oder der Italiener Arturo Merzario geben sich ein Stelldichein. Letztgenannter zog 1976 Niki Lauda aus dem brennenden Ferrari und hat vor allem deswegen Legendenstatus. Wenn im Porsche-Zelt des Fahrerlagers auf dem ADAC-Übungsplatz zur Signierstunde mit den allesamt nicht mehr ganz jungen Haudegen gerufen wird, strömen die Fans, vor allem die älteren. Dort haben die Namen nach wie vor einen magischen Klang.

Einer, der heute mit Sicherheit beim Solitude-Revival genauso umschwärmt wäre, ist der Leonberger Rennfahrer und Konstrukteur Gerhard Mitter, an den am Samstag und Sonntag am Glemseck mit einigen Veranstaltungen erinnert wurde. Vor fast genau 50 Jahren kam er auf dem Nürburgring bei einem Rennunfall ums Leben. Sein 57-jähriger Sohn Gerhard Mitter präsentiert im Formel-Junior-Lager einen der in der eigenen Leonberger Werkstatt konstruierten 90-PS-starken Mitter-DKW, Baujahr 1960. „Davon wurden zehn Exemplare in die ganze Welt verkauft“, sagt Mitter. „Ungewöhnlich an dem Fahrzeug ist der 2-Takt-Motor.“ Porsche präsentiert zur Erinnerung an den Leonberger Rennfahrer einen 918/8 Bergspyder aus dem Fundus des Porsche-Museums, mit dem Mitter 1967 und 1968 die Europa-Bergmeisterschaft gewann. Das Besondere: „Wir haben das Fahrzeug nicht restauriert, damit es fahrtüchtig ist, sondern Wert auf den Erhalt der Originalsubstanz gelegt“, sagt Kuno Werner, Leiter der Porsche-Museumswerkstatt.

Zwischen American La France und Renn-Trabi

Wer Ausschau hält, findet auf dem Gelände einige automobile Kuriositäten: So wie einen orangefarbigen Renn-Trabi, Baujahr 1987. Wie man auf die Idee kommt, einen Trabant zur Rennmaschine umzubauen? „Bis vor einigen Jahren gab es im Osten eine Rennserie namens Trabant-Lada-Racing Cup“, erzählt Yves Schilling aus Querfurt bei Halle. „Da haben wir solche Fahrzeuge gesehen und gedacht, das können wir auch.“ Schilling ist zum ersten Mal beim Solitude-Revival und ist sichtlich beeindruckt: „Hat schon ein hohes Niveau hier“, meint er mit einem Seitenblick auf die benachbarten Boliden. Der Trabi ist dennoch für viele ein Hingucker.

Unterdessen rollen die Vorkriegs-Rennwagen auf ihre Position am Start- und Zielturm im Mahdental. Bei dieser Rundfahrt sind nicht nur die ältesten Fahrzeuge beim Solitude-Revival zu sehen, sondern auch ganz sicher die größten: Die in den 20er-Jahren in South Carolina gebauten Wagen der Marke American La France waren ursprünglich als Feuerwehrfahrzeuge konzipiert, bevor sie zu Rennwagen umgebaut wurden. „Da sagt noch einer, Autos wären heute zu groß“, meint ein Motorsportfan süffisant, als die Riesen an den Zuschauern vorbeidefilieren. Doch die Namen und Fahrzeuge, mit denen die Fans hier die Anfänge des Automobilsports verbinden, sind andere: Maserati, Bugatti und Mercedes.

Zum Schluss lässt sich am Samstag auch Leonbergs Oberbürgermeister Martin Georg Cohn von der automobilen Nostalgie anstecken und nimmt selbst in einem Porsche 356 Carrera Abarth Platz, um eine Runde zu drehen. Vermutlich wollte auch der OB einmal am Duft des Mythos Solitude-Ring schnuppern.