Die Gebühren für die Lkw-Maut wurden möglicherweise falsch berechnet. Das kann für den Bund teuer werden. Kritiker befürchten Einsparungen bei der Sanierung von Straßen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Anfangs ging es nur um ein paar Euro und eine Lastwagenfahrt von 203,7 Kilometern. Aber der kleine Streitfall könnte für Verkehrsminister Peter Ramsauer und die Bundesregierung zum peinlichen Milliardendebakel werden. Denn der Spediteur, der am 12. August 2005 für seinen dreiachsigen Lastwagen eine Autobahnmaut von 22,43 Euro zahlen musste, zog vor Gericht und klagte sich durch die Instanzen.

 

Mit Erfolg: der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen in Münster gab am Ende dem Transporteur recht und entschied, dass die Maut zurückzuzahlen sei (AZ: 9A2054/07 vom 25. Oktober 0212). Denn bei der Festsetzung der Gebühr habe die Regierung die Achsklassen „nicht sachgerecht“ berücksichtigt. Und deshalb erklärten die Richter gleich die gesamte Mauthöheverordnung in der bis 31. August 2007 geltenden Fassung für unwirksam. Die Logistikbranche, die einst erbittert gegen die Einführung der Lkw-Maut kämpfte, will nun das Geld vom Bund zurück. Bereits 6000 Anträge auf Rückerstattung der Maut seien beim zuständigen Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in Köln eingegangen, musste Ramsauers Staatssekretär Jan Mücke vor wenigen Tagen im Bundestag kleinlaut einräumen. Zudem seien schon 27 Gerichtsklagen eingereicht worden. Nach Hochrechnungen des Amtes könnte sich der Umfang der eingereichten Klageforderungen „auf bis zu jährlich 1,75 Milliarden Euro belaufen“.

Der Bund hält die Ansprüche zwar für nicht begründet, aber die Richter in Münster haben keine Revision gegen das Urteil zugelassen. Dagegen hat die Regierung Beschwerde eingelegt, was aber auch nichts half. Seit Ende Januar liegen die Akten nun beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Doch auch im Hause Ramsauer werden die Chancen als gering eingeschätzt, dass sich an dem Urteil noch etwas ändert.

Deshalb bereitet sich das Ministerium schon auf den schlimmsten Fall vor. Falls die Transportbranche die milliardenschweren Rückforderungen zugesprochen bekomme, müssten diese „aus dem Haushaltstitel für die Mauteinnahmen beglichen werden“, räumte Mücke im Bundestag auf Anfrage der Grünen ein. Konkret heißt das: Der Bund müsste einen erheblichen Teil der jährlich rund 4,5 Milliarden Euro Mauteinnahmen, die in den Verkehrsetat fließen, zurückzahlen.

Bei Maßnahmen zur Erhaltung der Straßen muss gespart werden

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, befürchtet schwerwiegende Folgen des Urteils. „Sicher ist, dass die Rückzahlungen auf Kosten von Erhaltungs-, Aus- und Neubaumaßnahmen im Straßen- und Schienenverkehr gehen würden“, sagt der Experte. Vor allem die Instandhaltung der Infrastruktur drohe dann weiter zu leiden. „Denn so lässt sich im Wahlkampf ein Minus im Haushalt besser vertuschen als durch die Streichung eines angekündigten Neubauprojektes“, unkt Hofreiter.

Die gravierenden Versäumnisse bei der Einführung der Lkw-Maut fallen vor allem in die Amtszeit des früheren Verkehrsministers Manfred Stolpe (SPD), der als Nachfolger seines Parteikollegen Kurt Bodewig zwischen 2002 und 2005 das Ministerium leitete. Die Mauterhebung startete am 1. Januar 2005 und damit 16 Monate später als geplant, was gewaltige Einnahmeausfälle zur Folge hatte. Ursache waren technische Probleme beim privaten Betreiber Toll Collect, der dem Daimler-Konzern und der Deutschen Telekom gehört. Die Bundesregierung streitet seither mit Toll Collect vor einem Schiedsgericht um rund fünf Milliarden Euro Schaden plus Zinsen von weiteren rund zwei Milliarden Euro.

Das Urteil aus Münster könnte die Chancen verschlechtern, dass der Bund und damit die Steuerzahler die Milliardenausfälle doch noch ersetzt bekommen. „Wenn die Rechtsgrundlage unwirksam ist, wird das schwierig“, sagt Hofreiter. Im Ministerium sei nun die Skepsis groß, dass das Schiedsverfahren Erfolg haben könnte. Deshalb versuche Ramsauer, das heikle Thema wenigstens bis zur Wahl unter der Decke zu halten. Zumal auch ungeklärt sei, ob der im August 2015 auslaufende Betreibervertrag mit Toll Collect verlängert oder neu ausgeschrieben werde. Beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) hält sich die Begeisterung über das Urteil aus Münster in Grenzen. „Wir Transporteure werden davon wenig haben, denn wir müssen die Rückerstattung zwar geltend machen, aber dann an unsere Kunden aus der verladenden Wirtschaft weiterreichen“, sagte Präsident Mathias Krage dieser Zeitung. Denn meist sei die Lkw-Maut gerade in der Anfangszeit als eigener Posten in der Transportrechnung ausgewiesen worden. Auch der Hannoveraner Spediteur hat bereits für seine Ansprüche die Aussetzung der Verjährung bei Gericht beantragt. Und seine Großkunden, zu denen Autokonzerne wie Daimler, VW oder BMW gehören, haben wegen Rückerstattungen bereits bei ihm nachgefragt.

Für viel wichtiger als mögliche Rückzahlungen hält der Verbandschef aber das Urteil mit Blick auf den aktuellen Zwist über eine Erhöhung der Lkw-Maut, die von der Branche abgelehnt wird. Umstritten ist vor allem, wie sehr der Lastwagenverkehr Straßen und Umwelt belastet und ob dafür kein größerer Ausgleich nötig ist. Minister Ramsauer hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben. Mit dem Urteil und den Rückforderungen hat die Branche nun ein Druckmittel gegen den Bund und die Verordnung über die Mauthöhe.