Bundespräsident Joachim Gauck will sich offenbar keine zweite Amtszeit antun. „Bild“ behauptet, er habe sich nun entschieden, Anfang 2017 in Pension zu gehen. Für die Kanzlerin würde das schwierige Fragen aufwerfen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Breiter könnte ein roter Teppich nicht sein. Es gibt kaum Politiker von Rang, die noch nicht erklärt hätten, Joachim Gauck solle doch bitte auch für eine zweite Amtszeit Bundespräsident bleiben. Die Union ist dafür, SPD, Grüne und FDP auch. Die Kanzlerin hat sich entsprechend geäußert. Und in dieser Frage ist ausnahmsweise auch CSU-Chef Horst Seehofer mit ihr einer Meinung. Zudem bekunden 70 Prozent der Bundesbürger Sympathie für weitere fünf Jahre Gauck. Anfang 2017 läuft die erste Amtszeit aus. Der Termin, an dem die Bundesversammlung das Staatsoberhaupt wählt, steht schon fest. Es ist der 12. Februar.

 

Nun scheint es, als ob dann Gaucks Nachfolger zu küren wäre. Der erste Mann im Staate, inzwischen 76, will sich offenbar in den Ruhestand zurückziehen. Das berichtet zumindest die Zeitung mit den größten Buchstaben. „Bild“ zufolge will Gauck am Montagabend die Kanzlerin informieren und am Dienstag offiziell seinen Verzicht auf eine Wiederwahl erklären. Schloss Bellevue schweigt. Spekulationen werde man nicht kommentieren, heißt es. Vieles spricht dafür, dass die Nachricht stimmt - wenn auch nicht alle Details.

In jüngster Zeit hatten sich die Anzeichen verdichtet, dass Gauck eher ans Aufhören denkt. Unlängst hatte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk angekündigt, er wolle sich „im Frühsommer“ erklären. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, zumal er am 20. Juni zu einer längeren Reise nach Rumänien und Bulgarien aufbricht. Seine höchstpersönlichen Zukunftspläne wird er gewiss nicht aus dem Ausland verkünden.

Ein bemerkenswerter Präsident

Bis dahin ist also mit einer Stellungnahme zu rechnen. Gesundheitliche Probleme, die Beschwernisse des Alters scheinen gegen eine zweite Amtszeit zu sprechen. Zudem wird Gauck sich fragen, welche Akzente er denn noch setzen könnte, die jene übertreffen, mit denen er bisher von sich reden machte. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise schien es, er könnte sich gefordert fühlen als Ruhepol der Politik - in einer Zeit, während der die Autorität der Kanzlerin zunehmend verfiel und das Ansehen staatlicher Institutionen wegen des offenkundigen Kontrollverlustes litt. Inzwischen haben sich die Verhältnisse beruhigt.

Gauck trifft sich in der Tat am Montag mit Angela Merkel zu einem Abendessen. Das ist ein Rendezvous der beiden führenden Köpfe des Staates, das turnusmäßig ansteht. Sie kommen alle paar Wochen zusammen, um sich auszutauschen. Die Absicht, in Pension zu gehen, wird er Merkel schon persönlich auseinandersetzen wollen. Gegen die „Bild“-Botschaft, am Dienstag werde die Republik offiziell erfahren, wie Gauck sich seine Zukunft vorstellt, spricht allerdings dessen Terminkalender. Am Dienstag wird der Präsident in Schloss Bellevue die „Woche der Umwelt“ eröffnen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass er seinen eigenen Veranstaltung die Schau stehlen wird durch eine spektakuläre Mitteilung in Sachen Karriereende. In den nächsten Tagen ist gleichwohl damit zu rechnen.

Ein unbequemer Präsident

Für Deutschland wäre ein Rückzug aufs Altenteil bedauerlich. Gauck ist ein bemerkenswerter Präsident, alles andere als bloß der höchstdotierte Grüßgottonkel der Republik. In der Tradition seines Amtsvorgängers Roman Herzog hat er eine Reihe von Ruck-Reden gehalten. Zum Beispiel im Januar 2014 auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Deutschland müsse sich international stärker engagieren und mehr Selbstbewusstsein zeigen, so lautete seine Botschaft. Damit rüttelte er die Nation auf, entzweite sie aber auch, provozierte eine Art Selbstbesinnung. Selbst aus dem eigenen Freundeskreis erfuhr er bittere Widerworte. Manche verstiegen sich zu absurdesten Vergleichen mit den tragischen Figuren deutscher Großmannssucht. Sie können Gaucks Rede nicht gehört oder gelesen haben. Ähnlich provokant malte er ein Bild Deutschlands als Einwanderungsland. Als die Kanzlerin vor lauter Willkommenseuphorie die Sorgen und Ängste vieler Bürger wegen des Flüchtlingszustroms aber nicht hören wollte, machte er sich zum Fürsprecher der Verunsicherten - allerdings keineswegs zum Propagandisten einer Abschottungspolitik. Sein Tenor: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“

Gauck war immer ein unbequemer Präsident. Das begann schon, bevor er überhaupt Schloss Bellevue beziehen durfte. Merkel wollte ihn eigentlich nicht haben. Die FDP hat ihn ihr aufgezwungen. Die Kanzlerin hatte keine Akternative nach dem vorzeitigen Rücktritt ihres Parteifreunds Christian Wulff im Januar 2012. Die zwei könnten im Denken kaum verschiedener sein, Merkel und Gauck. Sie haben aber schnell zu einem verträglichen Nebeneinander gefunden, das von großem Respekt geprägt ist, wenn auch beide sich einen kritischen Blick auf den jeweils anderen bewahrt haben. Gauck sah sich gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, er betreibe eine Art Nebenaußenpolitik. Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, es hat ihn aber nie irritiert. Von diplomatischen Erwägungen ließ er sich nicht davon abhalten, dem türkischen Potentaten Erdogan, damals noch nicht Präsident, sondern Premier, die Leviten zu lesen. Das donnergrollende Echo aus Ankara war ungnädiger noch als nach der „Völkermord“-Resolution des Bundestags. Ein Querschuss vergleichbaren Kalibers waren die Absage an eine Olympia-Visite bei Putin und die demonstrative Ingoranz für die Verdienste der Russen im Kampf gegen Hitler am Weltkriegsgedenktag.

Schlechtes Timing für Merkel

Unbequem für Merkel wird es auch, wenn Gauck nun vorhat, nach fünf Jahren wieder aus Schloss Bellevue auszuziehen. Der Termin für die Kür eines Nachfolgers ist brisant, kurz vor Beginn des Bundestagswahlkampfs - auch das eine Kampagne mit offenem Ende. Die Verhältnisse in der Bundesversammlung, dem 1260 Köpfe umfassenden Gremium, welches den Präsidenten zu wählen hat, sind schwierig. Die Union hat mit Abstand die meisten Mandate, aber sie ist auf Bündnispartner angewiesen. Nur gemeinsam mit den Grünen oder mit der SPD würde es für eine absolute Mehrheit reichen, die in den ersten beiden Wahlgängen vonnöten wäre. Eine Mehrheit jenseits der Union wäre allenfalls im dritten Wahlgang denkbar. Da könnten SPD, Grüne und Linke die schwarzen Deputierten überstimmen.

Mit Blick auf den dann unmittelbar bevorstehenden Machtkampf um das Kanzleramt gilt die Frage, wer welche Kandidaten unterstützt, schon als Vorentscheidung für künftige Koalitionen. Parteikandidaten haben schlechte Aussichten. Merkel wird weder SPD noch Grüne motivieren können, für einen Kandidaten aus dem schwarzen Lager zu stimmen. Noch viel geringer dürfte die Neigung in der Union sein, einen Grünen oder einen Aspiranten mit SPD-Parteibuch zu wählen. Eigentlich bräuchte es einen zweiten Gauck - unabhängig, aber respektiert von vielen. Er müsste nur jünger sein. Und am besten noch weiblich.