Spielsüchtiger 46-Jähriger vor dem Stuttgarter Landgericht Senioren um fast 190 000 Euro betrogen

Der Angeklagte hat Senioren auch an Bankomaten aufgelauert und ihnen „über die Schulter“ geblickt, als sie ihre PIN eingaben. Foto: Imago/Michael Gstettenbauer

Dem Mann werden 137 Taten zur Last, die auch Herrenberg, Leonberg und Weissach begangen wurden. Ergaunert hat der Mann unter anderem PIN-Nummern durch sogenannten Shoulder Surfing – gegen das man sich allerdings sehr gut schützen kann.

Wenn alles normal im Leben des 46-Jährigen auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts gelaufen wäre, wäre er möglicherweise Fußball-Profi bei Olympique Marseille geworden und hätte mit Stars wie Franck Ribéry gespielt.

 

Doch das Leben des ambitionierten Fußballers geriet 1994 komplett aus den Fugen, als er als 17-Jähriger mit ansehen musste, wie sich seine depressive Mutter aus dem 14. Stock der Familienwohnung in Marseille durch ein Fenster zu Tode stürzte. Ihre Tochter war zuvor im Urlaub ertrunken. „Danach ist mein Leben gekippt. Ich bin spielsüchtig geworden und habe Heroin konsumiert“, erzählte der Angeklagte den Richtern der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, vor der er sich wegen Computerbetrugs, Betrugs und Diebstahls in 137 Fällen verantworten muss.

Mit Diebstählen ergaunerte er sich das Geld für seine Spieleinsätze, dafür saß er zunächst mehrere kurze Haftstrafen von wenigen Monaten ab, später auch zwei längere. Als er in den Casinos Hausverbot bekam, verlagerte er seine Aktivitäten auf Sportwetten im Internet. „Egal ob Fußball, Basketball oder Tennis, ich habe auf alles Geld gesetzt“, erläuterte er den Richtern. Um sich den Kick zu geben, habe er beim Spielen Kokain und Alkohol konsumiert, manchmal „bis ich gekotzt habe“. Eine echte Therapie wegen seiner Spielsucht habe er nie gemacht, nur Zehn-Minuten-Gespräche bei Spezialisten für Drogenberatung seien ihm nach dem Gefängnis auferlegt worden.

„26 Jahre lang habe ich mein Leben mit der Spielerei versaut“, räumte der 46-Jährige unumwunden ein – und ließ ein Stück weit Reue erkennen: „Es war nicht gut, was ich den armen alten Menschen angetan habe. Aber ich bin von meiner Spielsucht nicht weggekommen“, deutete er ein Geständnis an für die 137 Taten, die er laut Staatsanwaltschaft von Juni bis September vergangenen Jahres zum ganz überwiegenden Teil im Kreis Böblingen sowie in Baden-Württemberg und im angrenzenden Rheinland-Pfalz begangen haben soll.

Eine seh- und hörbehinderte 89-Jährige um 85 000 Euro gebracht

Laut Anklage hat er in Banken und Sparkassen die PIN-Nummern von Senioren zwischen 74 und 90 Jahren ausgespäht und ihnen beim Geldabheben ihre EC-Karten entwendet. Dabei habe er verschiedene Maschen angewendet: Häufig habe er den Schlitz von Kontoauszugsdruckern mit einer Münze blockiert und die betagten Menschen dann an den EC-Automaten gelockt. Sobald die Kunden die Bankkarte in den EC-Automaten steckten, blickte er ihnen beim Eingeben der Geheimzahl über die Schulter und brach laut Anklage dann den Vorgang ab, während er seine Opfer ablenkte.

Insgesamt soll er mit dieser Masche knapp 187500 Euro erbeutet haben, Tatorte waren unter anderem Leonberg, Weissach, Herrenberg, Waldenbuch, Neuhausen im Enzkreis oder Pforzheim. Besonders dreist und ergiebig war seine Tat in Leonberg, wo er einem seh- und hörbehinderten 89-Jährigen die EC-Karte entwendete und mit dieser insgesamt knapp 85000 Euro abhob.

Karte aus Leonberg kommt in Weil der Stadt und in Metz zum Einsatz

Zum Einsatz kam die Karte laut Anklage erst in Leonberg selbst, noch am selben Tag dann in Hagenau und Straßburg im Elsass. Wenige Tage später habe er sie im südfranzösischen Pergignan mehrfach benutzt, später in Weil der Stadt und Baden-Baden. Gesperrt wurde sie erst knapp drei Wochen später, als einem Bankangestellten das auffällige Abhebeverhalten aufgefallen war. Mit einer anderen Karte, die ebenfalls in Leonberg entwendet wurde, tätigte der Angeklagte Einsätze im lothringischen Metz und dem benachbarten Montigny.

Der Prozess wird am 9. April fortgesetzt. Bis dahin wollen die Prozessbeteiligten erörtern, ob es die Möglichkeit zu einer Verständigung gibt, bei der dem Angeklagten gegen ein Geständnis ein Strafrabatt in Aussicht gestellt wird. Das Urteil soll voraussichtlich am 26. April verkündet werden.

Fiese Masche zum Ausspähen von PIN-Nummern und Passwörtern

Shoulder Surfing
 Der Begriff beschreibt das Ausspähen persönlicher Daten wie PIN-Nummern oder Passwörter – durch „über die Schulter“ schauen. Das kann nicht nur an Bankautomaten passieren, sondern auch beim Online-Shopping in der vollen U-Bahn oder bei Bankgeschäften am Laptop im Lokal in der Mittagspause. Versierten Tätern reicht es aus, wenn sie einen freien Blick auf die Fingerbewegungen haben. Bisweilen werden die Daten auch mittels einer versteckten Kamera oder eines Fernglases erspäht. Mit den gestohlenen Daten und Bankkarten können die Täter die Konten ihrer Opfer plündern.

Schutz
Tastaturfelder sollten mit einer Hand oder einem Gegenstand abgedeckt werden, die Bankkarte nie aus den Augen gelassen werden. Hilfreich sind auch Blickschutzfilter für Displays und Passwortmanager, bei denen Passwörter nicht mehr einzeln eingegeben werden müssen. Und ganz generell ein guter Tipp: das Limit für Bargeldabhebungen des Kontos herabsetzen lassen.  

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