Vor 20 Jahren starb der indische Guru Bhagwan Shree Rajneesh. Sein Jünger Eric Baer, genannt Dhyan Tura, lebt seine Philosophie weiter.

Reportage: Robin Szuttor (szu)
Stuttgart - Wenn der Tag anbricht und die Vögel ihr Konzert anstimmen, geht Dhyan Tura manchmal die paar Schritte von der Terrasse zum See, setzt sich auf den Steg und hört einfach zu. Oder er spaziert vorbei an der Pferdekoppel, den Weizenfeldern, dem Tannenhain, den Kräuterwiesen im Naturschutzgebiet bis zum nahen Wald, wo sich Fuchs und Hase Guten Morgen sagen. Starkholzbach: eines der schönsten Plätzchen auf dieser Erde.

Dhyan Tura lebt seit zehn Jahren in dem 50-Seelen-Dorf bei Schwäbisch Hall. Viel mehr als die Natur, sein Zimmer in der 5-Parteien-WG und seinen Bastelraum braucht er nicht. Im Keller malt er Bilder in leuchtenden Farben, macht Mosaike und Collagen aus allem, was ihm so in die Hände kommt. Manchmal kauft ihm jemand was ab. Dreimal die Woche fährt er auf seinem Motorroller zu einem Pflegeheim und betreut Senioren. Dafür gibt es auch ein bisschen Geld. Was dann noch zum Existenzminimum fehlt, bekommt er vom Jobcenter. Er ist ein leiser, zurückgezogener Mensch. So lebt er auch. So kann er ganz bei sich sein: Dhyan Tura, der Sannyasin.

Tura kommt 1958 in Argentinien als Eric Baer auf die Welt. Sein Großvater, ein Hamburger Juwelier, war vor den Nazis über den Atlantik geflohen. Mit neun verliert Eric seinen Vater. Das unbeschwerte Kind, das er bis dahin war, gibt es von nun an nicht mehr. "Seit dem Tag hatte ich eine Sehnsucht in mir", sagt er.

Die Sexualität wird von allen Hemmungen entbunden


Eric Baer ist 13, als 15.000 Kilometer entfernt, in Indien, aus dem jungen Philosophieprofessor Chandra Mohan Jain der Guru Bhagwan Shree Rajneesh wird. Bald pilgern Hunderttausende Hippies, Abenteurer, Sinnsucher nach Poona, um sich erleuchten zu lassen. Der Ashram ist "Vergnügungspark, Irrenanstalt, Freudenhaus und Tempel" in einem, wie es eine Beglückte damals beschreibt.