Die Fußball-EM steht vor der Tür. Aber deutsche Konzerne und die Nationalelf gehen getrennte Wege. Teils ist das freiwillig. Sportsponsoring hat heikle Seiten bekommen.

Es war ein Aufschrei, der durch die Republik ging. Adidas musste den Ausrüstervertrag für die deutschen Fußballnationalmannschaften an den US-Rivalen Nike abtreten, weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sich nach sieben Jahrzehnten zum Partnerwechsel ab 2027 entschieden hatte. Bei der Politik vor allem in Person von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kam das schlecht an. Er hätte sich „ein Stück mehr Standortpatriotismus“ gewünscht, kritisierte der Grüne. Zum Gespräch mit DFB-Oberen erschien Habeck jüngst provokativ im neuen pink-lila Auswärtstrikot der deutschen Elf mit Adidas-Logo. Der Zwist geht aber tiefer.

 

„Das hat mobilisiert und auch Fans erregt“, sagt Jürgen Mittag zum gesellschaftlichen Echo. In sozialen Medien hätten viele den DFB hart kritisiert, hat der Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln beobachtet. Erklären kann er sich den Schritt aber. Der DFB durchlebe eine finanzielle Misere und brauche Geld, das Nike als potenterer Sportartikler im Vergleich zu Adidas umfangreicher biete.

Nike zahlt einen Mondpreis

Wie hart die Herzogenauracher Marke mit den drei Streifen der Verlust des Werbeträgers deutsche Nationalelf wirklich trifft, ist aber fraglich. Die jährlich rund 100 Millionen Euro, die Nike dem Vernehmen nach zahlt, gelten als Mondpreis. Die Hälfte hatte Adidas für den Ende 2026 auslaufenden Kontrakt berappt. Bei Vertragsabschluss waren die deutschen Männer Weltmeister und auch die Frauen in der absoluten Weltspitze.

Begehrter als Nationalteams sind für Sportartikler und Sponsoren längst einzelne Spitzensportler, die man sich gezielt aussucht oder Topteams wie Bayern, Barcelona & Co. „Die Premiumklasse ist der europäische Vereinsfußball“, betont Mittag. Vereine spielten anders als eine Nationalelf wöchentlich, fast täglich seien sie in Medien präsent. Entsprechend zahlen Sponsoren für sie mehr. Für den Ausrüstervertrag des FC Barcelona mit Nike werden jährlich bis zu 150 Millionen Euro kolportiert. Offiziell sind die geheimen Zahlen nicht.

Der Stern und auch das wirtschaftliche Potenzial der deutschen Nationalelf sind dagegen zuletzt kontinuierlich gesunken. 2014, als das Team in Brasilien Weltmeister wurde, hat Adidas noch davon geschwärmt, dass drei Millionen Trikots mit Adler und den drei Streifen verkauft wurden. 2016 zur Europameisterschaft in Frankreich, als Deutschland das Halbfinale erreicht hat, wurden eine Million Trikotverkäufe gemeldet. Seit der WM im Russland 2018 hüllt sich Adidas in Schweigen.

Auswärtstrikot läuft gut

Zur diesjährigen EM im eigenen Land sieht es aber erst einmal vielversprechend aus. „Das Auswärtstrikot der deutschen Elf läuft zum Start ausgesprochen gut im Handel“, berichtet Stefan Herzog als Chef des Verbands Deutscher Sportfachhandel (VDS). Bisher verkaufe sich das farblich polarisierende Leibchen so gut wie kein Vorgängermodell. „Wir werden überdurchschnittlich viele Frauen sehen, die das Trikot tragen“, schätzt der VDS-Präsident. Ob das DFB-Trikot am Ende ein Verkaufsschlager wird, hänge aber vom Abscheiden der Elf ab. Zwei Millionen Mal lasse es sich wohl verkaufen, falls Deutschland weit kommt, schätzt Herzog.

Bei einem erneut frühen Ausscheiden wären aber auch weniger als die Hälfte dessen möglich, warnt Mittag. Großveranstaltungen wie eine Fußball-WM und -EM oder Olympische Spiele sind rein monetär kaum ein lukratives Geschäft, sagen Sportartikler. Die dafür hohen Werbeaufwendungen und potenzieller Zusatzumsatz hielten sich oft nur die Waage.

Zudem seien solche Großveranstaltungen zur heiklen Werbeplattform geworden, sagt Mittag. Bei den Weltmeisterschaften in Katar und Russland sowie den Olympischen Spielen in China war das offensichtlich. Aber auch mit der Fußball-EM in Deutschland komme man nicht mehr zum Normal früherer Jahre zurück. „Große Sportevents sind Resonanzböden für unterschiedlichste gesellschaftliche Strömungen geworden“, betont der Experte. Für Werbetreibende schafft das unliebsames Konfliktpotenzial.

Im Westen spiele politische Korrektheit beim Werben zudem eine immer größere Rolle, sagt der Sportprofessor. „Schon schwer kalkulierbare Kleinigkeiten reichen, um sich zu diskreditieren“, weiß Mittag. Eine einzelne Kampagne in Regenbogenfarben zeuge von Verantwortung, werben auf einmal alle Sponsoren damit, werde im Auge der Öffentlichkeit schnell Anbiederung daraus.

Chinesischer Autobauer auf dem Vormarsch

Bei derartiger Empfindsamkeit, die Werbeengagements schwer kalkulierbar machen, wundert mangelnde Präsenz heimischer Konzerne nicht. Topsponsor der kommenden EM ist der chinesische Elektroautobauer BYD und nicht etwa VW. Die Wolfsburger haben nicht einmal ein Angebot abgegeben. Sollte die EM aus deutscher Sicht ein Erfolg werden, sähen viele Kalkulationen plötzlich anders aus. „Wenn alles gut geht, haben sportliche Großereignisse, gerade vor der eigenen Haustür, ein riesiges Mobilisierungspotenzial“, sagt Mittag. Eine siegreiche Nationalelf könne der an sich zweifelnden und zunehmend gespaltenen Nation neues Gemeinschaftsgefühl verleihen. Auch Sponsorengeld wäre dann gut angelegt.