Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann lässt Kritik kalt, die Stadt habe beim Spitzensport den Anschluss verpasst. Stuttgart lege das Hauptaugenmerk eben auf den Breitensport, sagt sie.

Stuttgart - Als „klassisches Funktionärsdenken“ hat Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) Aussagen von Helmut Digel, dem ehemaligen Spitzenfunktionär und langjährigen Vorsitzender des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, bezeichnet. Er sei wohl nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Der emeritierte Professor für Sportwissenschaft in Tübingen hatte aus Anlass des 20. Jahrestags der Leichtathletik-WM in Stuttgart im StZ-Interview die Ansicht vertreten, die Verwaltung und die Kommunalpolitik hätten die ehemalige Sporthauptstadt Stuttgart zur Provinz herabgewirtschaftet. Er vermisse ein Konzept, das ermögliche, neben dem VfB Stuttgart eine zweite Spitzenmannschaft in einer anderen Sportart zu etablieren, und er bemängelt, dass der Hochleistungssport im Rathaus keine Rolle mehr spiele.

 

Die Bürgermeisterin für Schule, Bildung und Sport ist trotz ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit eine gefragte Gesprächspartnerin. Ob es um die Schulhaussanierung geht, den Streit mit dem VfB wegen des Wegfalls von Trainingsplätzen oder die Schließung der Filmgalerie 451 und die Debatte über ein Film- und Medienhaus – Eisenmann steht auch in Südtirol telefonisch Rede und Antwort. Die Aussagen Digels hat sie kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Das Renommee Stuttgarts immer noch an der Zahl der ausgerichteten sportlichen Großereignisse festzumachen sei „überholtes Denken“. Davon habe sich die Stadt schon lange und auch aus guten Gründen verabschiedet.

Zur Erinnerung: 1983 begann mit der Weltmeisterschaft im Formationstanzen in der Schleyerhalle eine Dekade von Großereignissen, in der sich die Stadt das Prädikat „Deutschlands Sporthauptstadt“ verlieh – die Konkurrenz war damals allerdings auch überschaubar. Basketball-EM, Leichtathletik-EM, Tour de France, Fußball-EM, Daviscupfinale, Kunstturn-WM, Volleyball-EM, Rad-WM, Ringer-EM, Tischtennis-EM und die EM in der Rhythmischen Sportgymnastik holten der frühere Stuttgarter Messechef Rainer Vögele und der Sportbürgermeister Gerhard Lang (SPD) nach Stuttgart.

Rad-WM ist Eisenmann in schlechter Erinnerung geblieben

Der Höhepunkt war die Leichtathletik-WM 1993, die die Stadt drei Millionen Euro kostete. Danach wurde es zwangsläufig ruhiger, da Titelkämpfe nicht immer an denselben nationalen Verband vergeben werden und ein Ausrichter so schnell kein zweites Mal an die Reihe kommt. Die desolate finanzielle Lage zwang die Stadt zudem zu einem rigiden Sparkurs. Vor allem aber waren die Struktur und das Konzept zerschlagen worden, auf denen Stuttgarts Aufstieg zur Sporthauptstadt beruhten: und zwar im Zuge von Ermittlungen über die Vermarktung der Rad-WM, die mit Strafbefehlen für Rainer Vögele und die Geschäftsführer seiner heimlichen Stabsstelle, der Agentur jbw, endeten.

2006 fand die Fußball-WM auch in Stuttgart statt, 2007 lebte die Tradition noch einmal auf: mit Titelkämpfen im Handball, Tischtennis, Turnen und Straßenradfahren. Vor allem die Rad-WM ist der Bürgermeisterin in schlechter Erinnerung geblieben. Doping und Spitzensport gehören spätestens seit dieser Zeit für sie untrennbar zusammen.

Dies und die unverhältnismäßigen Kosten für die Ausrichtung eines sportlichen Großereignisse sprächen heute gegen Bewerbungen, sagt sie. Von „Anschluss verpassen“, wie Digel behauptet, könne also keine Rede sein. Die Stadt wolle ihn gar nicht halten. Mindestens zwei Millionen Euro verlangten heute die Sportfachverbände für ein Großereignis – und nicht etwa wegen des Aufwands für Aktive und Infrastruktur. Im Hinblick auf die frühere Tätigkeit Digels an der Spitze der Leichtathletikfamilie betont sie, dass ein nicht unwesentlicher Betrag auf die Unterbringung und Verköstigung der Funktionäre entfalle.

Spitzensport spielt in der Kommunalpolitik keine große Rolle

In schlechter Erinnerung ist den Stuttgartern der ehemalige Leichtathletik-Weltpräsident Primo Nebiolo. „Be happy and pay the deficit“ – die legendäre Ansage an die Adresse des damaligen OB Manfred Rommel ist den Verantwortlichen im Rathaus bis heute eine Warnung. „Von Nachhaltigkeit konnte damals auch keine Rede sein“, erinnert sich Eisenmann. Im Jahr nach der WM floppte ein Sportfest, weitere hochkarätige Veranstaltungen zogen weniger Leichtathletikpublikum an als erhofft.

Dass der Hochleistungssport in der Kommunalpolitik keine große Rolle spiele, unterschreibt Eisenmann gerne, denn „dafür sind wir auch nicht zuständig, sondern der Bund und die Sportfachverbände“. Die Empfehlung Digels, Stuttgart müsse die Voraussetzung für eine zweite Top-Erstligamannschaft neben dem VfB schaffen, sei „absurd und nur oberflächlich gedacht“. Es sei völlig ausgeschlossen, mit Steuergeld, das derzeit vor allem für Schulhaus- und Straßensanierungen, Kitaausbau und Wohnungsbau benötigt würde, eine Profimannschaft zu unterstützen. Das gebe es auch anderswo nicht.

Spitzensport benötige Mäzene. Die von Helmut Digel genannten Beispiele im Handball, Reinickendorfer Füchse und Rhein-Neckar Löwen in Mannheim, seien schräg. Nicht die Kommunen sorgten dort für einen Boom, sondern reiche Sponsoren, die in Stuttgart und der Region traditionell dünn gesät seien. Bekanntlich geben sich Firmen eher damit zufrieden, einer von 100 Unterstützern des VfB zu sein als der Hauptsponsor eines guten Teams in einer Randsportart.

Fokus liegt auf Breitensport und im Jugendbereich

Hauptaufgabe der Kommune sei es, den rund 400 Vereinen eine vernünftige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und sie bei der Pflege und Sanierungen zu unterstützen. Das Hauptaugenmerk gelte dem Breitensport, auch in Trendsportarten, vor allem im Jugendbereich.

Die Förderrichtlinien würden in den kommenden Haushaltsberatungen angepasst, Programme wie „Kitafit“ zur Bewegungsförderung von Kindern oder „Fit ab 50“ und die Stuttgarter Talentförderung finanziell ausgestattet. „Das ist nachhaltige Sportpolitik“, betont Eisenmann. „Da sind wir bundesweit führend.“ Alles andere sei „Glamour“ und habe mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Investitionen in die Infrastruktur kämen in Stuttgart auch dem Spitzensport entgegen. An der Sanierung des Olympiastützpunkts Molly-Schauffele-Halle beteiligt sich die Stadt mit einem Millionenbetrag zu einem Drittel, das Stadion Festwiese ist mit städtischem Geld auf Vordermann gebracht worden – von der Mercedes-Benz-Arena, der Schleyerhalle und der Porsche-Arena gar nicht zu reden. Der Baubeschluss für ein Sportbad ist gefasst, die Sanierung des Gazi-Stadions wird nach der Runde in Angriff genommen.

Kein Spitzensport neben dem VfB? Ein Vorwurf, der für Eisenmann ins Leere geht. Volleyball, Handball, Wasserball, Faustball, Baseball, American Football und Turner sind erst- oder zweitklassig. Das seien zwar Randsportarten, sagt die Bürgermeisterin. „Aber dazu zählt heute ja bedauerlicherweise alles außer Fußball.“ Diese Disziplinen bräuchten mehr TV-Zeiten, etwa im dritten Fernsehprogramm, weshalb sie mit dem neuen Sportchef Harald Dietz ein Gespräch führen wolle. Mehr könne die Kommune aber für den Spitzensport in der Stadt nicht tun.