Kanadische Forscher schlagen Alarm: Völkerball, ein beliebtes Spiel im Sportunterricht, sei „legalisiertes Mobbing“. Ein Stuttgarter Experte fordert, sich die Studienergebnisse genau anzusehen.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Stuttgart - Bei wenigen Themen gehen die Meinungen derart auseinander wie beim Völkerball: Für manche weckt das Wort positive Erinnerungen an eine spaßige Sportstunde in der Grundschule, anderen treibt es Gänsehaut auf die Unterarme. Allein die Zusammenstellung der Mannschaften sorgte für Stress: Was, wenn man wieder als Letzter gewählt wird?

 

Kanadische Forscher sind jetzt sogar zu dem Schluss gekommen, bei Völkerball im Sportunterricht handele es sich um „legalisiertes Mobbing“. Joy Butler, Pädagogik-Professorin an der University of British Columbia sagte dem kanadischen Radiosender CBC, Völkerball sei für die Entwicklung der jungen Schüler problematisch.

Butler schilderte eine ihrer Beobachtungen in einer Grundschule: Ein Mädchen, dass von ihren Klassenkameraden durch die Sporthalle gehetzt wird. „Sie wird gejagt. Was lernen die Schüler daraus?“ Es gebe genug Spiele, die Kindern nicht vermittelten, dass es okay sei, andere Menschen zu Opfern zu machen.

„Da kann durchaus was dran sein“

Matthias Schneider, Landesgeschäftsführer der Lehrer-Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ (GEW), hat von der Studie, die bald in dem Fachmagazin „European Physical Education Review“ erscheinen soll, bislang nur aus den Medien gehört. „Als ich die Schlagzeile las, dachte ich spontan: Da kann durchaus was dran sein. Wir sollten uns die Ergebnisse dieser Studie genau anschauen und sie den Sportlehrern in Baden-Württemberg zugänglich machen.“

Wie oft der Klassiker Völkerball heute noch im Sportunterricht Stuttgarter Schulen gespielt wird, kann Schneider natürlich nicht sagen. „Die Sportdidaktik hat sich in den vergangenen Jahren auch stark verändert.“ Grundsätzlich, findet der GEW-Mann, sei Sportunterricht dazu da, „Spaß zu machen“. „Kinder und Jugendliche sollten sich regelmäßig bewegen – und das mit Freude.“ Viel zu oft falle an den Schulen Sportunterricht aber wegen Lehrermangels aus.

Präsident des Sportlehrerverbands sieht das Thema gelassen

Michael Fahlenbock, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbands, warnt davor, das Thema zu dramatisieren: „Das ist kein Thema, das den Sportunterricht und Völkerball allein betrifft – das ist im Matheunterricht nicht viel anders.“ Fahlenbock bildet an der Uni Wuppertal zukünftige Sportlehrer aus. Er hält es für wichtig, dass im Sportunterricht viele verschiedene Abwurfspiele angeboten werden. „Es gibt da Spiele, die deutlich innovativer und spaßiger sind als Völkerball.“ Wichtig sei, dass auch Schüler, die mit Sport wenig anfangen können, motiviert würden. „Schwächere Schüler sollten nicht das Gefühl haben, sie würden aussortiert. Der Sportunterricht soll Freude an der Bewegung vermitteln – so steht es auch in den meisten Lehrplänen.“

In manchen US-amerikanischen Schulen ist „dodgeball“ (die US-Version von Völkerball) bereits aus dem Sportunterricht verbannt. Die kanadischen Forscher hoffen, dass mehr Lehrer verstehen, warum Völkerball ein problematisches Spiel sei – und ihre Aufmerksamkeit auf die Kinder lenken, die die Gejagten statt die Jäger sind.

Völkerball – so sind die Regeln: Im Völkerball spielen zwei Mannschaften gegeneinander. Wird ein Spieler von einem Ball getroffen, muss er das Spielfeld verlassen. Fängt ein Spieler dagegen den Ball nach dem gegnerischen Wurf, darf ein Spieler „von draußen“ wieder zurück ins Spiel. (Ähnlich wie beim Kartenspiel „Uno“ variieren die Regeln natürlich von Schule zu Schule).