Sprache und Sexismus Pro: Eine Reform muss her! Von Luise F. Pusch
Mit dem Thema der geschlechtergerechten Sprache beschäftigen sich frauenbewegte Frauen, die meisten Frauenbeauftragten und einige Sprachwissenschaftlerinnen seit Jahrzehnten. Die meisten Männer sehen keinen Handlungsbedarf und finden die Reformbestrebungen der Feministinnen störend und lächerlich, ja abartig. Die Feministinnen und viele „ganz normale“ Frauen wollen Frauen in der Sprache besser sichtbar machen und waren damit international auch schon äußerst erfolgreich, gegen alle Widerstände. Unsere Erfolge machen wiederum die Gegner mobil, und so dreht sich das Karussell.
Ich behandle hier den Sexismus in der deutschen Sprache. Die Aussagen gelten aber auch für jede andere Genus-Sprache, das sind Sprachen, die nach Geschlechtern unterscheiden. Bis auf das Englische sind fast alle europäischen Sprachen Genus-Sprachen, mit einer für Frauen sehr nachteiligen Eigenschaft: Männer, hypothetische Personen („Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, „Wer wird Millionär?“) und gemischtgeschlechtliche Gruppen werden alle mit demselben Genus bezeichnet, nämlich dem Maskulinum. Das Maskulinum erlaubt einen generischen, geschlechtsübergreifenden Gebrauch, das Femininum nicht. Überdies sind die meisten Bezeichnungen für Frauen aus denen für Männer abgeleitet: der Student, die Studentin. Verkürzt gesagt, macht ein männliches Wesen (im Französischen kann das auch ein Hund sein) jede noch so große weibliche Gruppe symbolisch zu einer Männergruppe: 99 Sängerinnen und ein Sänger sind auf Deutsch zusammen ein Männerchor von 100 Sängern. Der Mann als Norm und Standardversion des Menschen wird uns von den Sprachen aufgezwungen, die Frau erscheint entsprechend als Abweichung von dieser Norm. Sie ist wie eine Frau, die bei einem Mann zur Untermiete wohnt. Sie hat keine eigene Adresse. Dieses Sprachprinzip ist bekannt unter dem Namen MAN, was so viel bedeutet wie Mann als Norm.
An Sprachformen hängen Karriere-Chancen
Die Gegner der feministischen Sprachkritik behaupten, das Maskulinum sei ökonomisch und stünde für beide Geschlechter. Empirische Forschungen haben aber den Beweis erbracht, dass das Maskulinum keineswegs neutral ist, sondern in den Köpfen der Menschen überwiegend männliche Bilder erzeugt und Gedanken an Frauen gar nicht erst aufkommen lässt.
Bei der Suche nach geeigneten KandidatInnen für politische Ämter hat sich z. B. „gezeigt, dass es von der Formulierung der Fragen abhängt, wie häufig Frauen vorgeschlagen werden. Das bedeutet also, dass die verschiedenen sprachlichen Formen die Chancen von Frauen ganz konkret verringern oder erhöhen. Und dabei geht es um sehr konkrete Vorteile in Form von Anerkennung, Karriere und nicht zuletzt finanziellem Gewinn.“ So resümiert die Linguistin Friederike Braun die Ergebnisse einer Studie.
Der Kampf ist langwierig, aber er lohnt sich
Etwas Besseres könnte natürlich den Männern nicht passieren und ganz besonders unseren männlichen Machteliten in Politik, Wirtschaft, Medien und so fort: Der Gedanke an die weibliche Konkurrenz wird schon im Vorfeld, vor jeder Auseinandersetzung um gerechtere Verteilung der Ressourcen, durch die Männersprache erschwert. Frauen kommen vielen, auch vielen Frauen, gar nicht erst in den Sinn.
Der Kampf für eine gerechte Sprache ist langwierig, aber notwendig. Und er lohnt sich. Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war.
Luise F. Pusch
ist Sprachwissenschaftlerin und Publizistin. Sie gilt als Begründerin der feministischen Linguistik.
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