Wer ist der schnellste Mann bei Olympia? Das Duell Usain Bolt gegen Yohan Blake elektrisiert. Keine zehn Sekunden wird es dauern – doch die Welt wird den Atem anhalten.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

London - Die Gästeliste ist das große Rätsel für den britischen Boulevard. Prinz Harry soll angeblich drauf stehen und andere große Namen, heißt es. Nichts Genaues weiß man nicht. Aber es wird eine Riesensause werden, ein Pflichttermin für die Yellow Press und für jeden, der glaubt, wichtig zu sein. Die Zeitungen sind schon jetzt voll damit. Usain Bolt plant die Party für seinen Olympiasieg in London. Mit den Besten der Besten. Einer exklusiven Klientel aus der Welt der Reichen und Schönen und Royalen, Olympia der Celebrities, sozusagen. Wie es sich gehört für den schnellsten Menschen, der je auf dieser Erde gelebt hat. Für den König der Bahn. Allerdings hat die Sache noch einen Haken.

 

Usain Bolt ist noch gar nicht gelaufen.

Der Wirbel um dieses Rennen am Sonntag Abend ist gewaltig. Seit Monaten bewegt das Finale über 100 Meter die Öffentlichkeit. Flankiert von einer gewaltigen PR-Maschinerie gibt es auch in London kaum ein Entrinnen vor dem Bohei. Die Stadt ist zugepflastert mit dem Gesicht von Usain Bolt, sein Konterfei prangt auf vielen der roten Doppeldeckerbusse, die Gazetten werden täglich gefüllt von dem erwarteten Duell mit seinem jamaikanischen Landsmann Yohan Blake, dem Weltmeister.

Spannende zehn Sekunden

Die Sportwelt wird am Sonntag Abend für Bruchteile von Sekunden die Luft anhalten, wenn das Warten auf den Startschuss beginnt. Nach etwa 9,6 Sekunden wird alles vorbei sein, vielleicht geht es auch ein wenig schneller, so genau lässt sich das nicht sagen. Es heißt, dass angesichts des Klimas nicht mit Fabelzeiten zu rechnen ist. Aber wer weiß das schon bei Usain Bolt.

Bolt gegen Blake. Das Duell. Ein großer Sprint. Das kürzeste Epos dieser Spiele.

Es kann nur einen geben bei diesem Zweikampf zwischen den beiden Athleten aus der Trainingsgruppe des Sprinttuners Glen Mills. Wobei es ein schnelles Jahr war, wie immer, wenn ein Großereignis ansteht. So haben etwa die US-Amerikaner Tyson Gay und Justin Gatlin oder auch der dritte Jamaikaner, Asafa Powell, ebenfalls Chancen. „Ich bin zuversichtlich, dass ich an diesem Abend einen guten Job machen kann. Es wird sicher ein großartiges Rennen“, sagt Blake, der Gegenentwurf zu seinem hyperaktiven und stets auf Posen bedachten Freund Bolt. „Ich muss am Start keine Mätzchen machen. Ich muss da niemanden erschrecken. Ich bin konzentriert, nur auf mich selbst fokussiert.“

Die 100 Meter sind für viele das faszinierendste Ereignis dieser Spiele. Es ist so simpel. 100 Meter. Geradeaus. So schnell es geht. Die Frage nach dem schnellsten Menschen der Welt.

Der Sprint ist die berühmteste Olympia-Disziplin

Keine andere Disziplin der Leichtathletik zieht derart Aufmerksamkeit auf sich, das mag ungerecht erscheinen, wenn man etwa die Leistungen der Mehrkämpfer sieht oder die all der anderen in dieser vielfältigen Welt aus Laufen, Springen und Werfen – aber der Sprint ist massenkompatibel wie sonst keine Disziplin.

Yohan Blake ist im vergangenen Jahr Weltmeister geworden. Doch das war eine Randnotiz. Der Fehlstart von Weltrekordler Bolt (9,58 Sekunden) und die damit verbundene Disqualifikation war das große Thema. Weltmeister Blake? Ein Sieger von Bolts Gnaden, er galt als ein Profiteur des Fehlstarts. Nur eine Fußnote, etwas für die Statistik.

Bis zu den jamaikanischen Trials. Blake besiegte Bolt sowohl über die 100 Meter als auch über die 200 Meter. Mit 9,75 Sekunden ist er der schnellste Mann des Jahres. Man nennt ihn auch „Beast“, wegen seines versessenen Einsatzes im Training. Und er ist erst 22 Jahre alt. Schon jetzt ein rasendes Versprechen. Wo sind die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit? Niemand weiß es. „Wenn man sich die Bewegungsabläufe der beiden ansieht, hat Blake klare Vorteile. Bolts Technik ist nicht so gut. Das ist auch der Grund, warum ihn Blake in dieser Saison bereits geschlagen hat“, hat der ehemalige Weltrekordler Maurice Greene in seinem Blog auf der Homepage von „Eurosport“ geschrieben.

„Einstein, Newton – und Bolt“

Yohan Blake läuft nicht in Bolt’schen Dimensionen, wobei Bolt das in diesem Jahr auch noch nicht getan hat. Es heißt, er sei nicht in der Verfassung für Fabelzeiten. Nicht so, wie damals in Peking vor vier Jahren oder 2009 in Berlin bei der WM, als er über 100 Meter, 200 Meter und die Sprintstaffel jeweils den Titel holte, dreimal mit Weltrekord. 2008 eroberte er Olympia. Er war der Außerirdische, der Michael Phelps auf Tartan. Einen wie ihn hatte die Welt noch nicht gesehen. Seither ist Bolt ein Weltstar des Sports, selbst all die Mutmaßungen über diese unglaublichen Zeiten in der chronisch verseuchten Sprintbranche haben seinem Status nichts anhaben können. „Wir haben Albert Einstein, Isaac Newton, Beethoven – und Usain Bolt“, in diese Reihe stellt ihn der jamaikanische Trainer Steven Francis.

Ein Wunderläufer, eine Sprintmaschine, wie Biomechaniker und andere Analysten angesichts seiner körperlichen Voraussetzungen herausgefunden haben wollen. Bei Spitzensprintern liegt der Anteil der schnellen weißen Muskelfasern bei bis zu 80 Prozent. Bei einem normalen Menschen liegt der Anteil der weißen und langsamen roten bei jeweils etwa bei 50 Prozent. Die vergleichsweise schnell ermüdenden, schnell kontrahierenden weißen Fasern in Kombination mit geringem Energieverlust, bei Bolt besonders ausgeprägt, sind entscheidend für Tempo.

Am Samstag beginnt seine Mission, Bolt will dreimal Gold holen, eine Legende werden. Er hat sich vorab die Startblöcke besorgt, die in London benutzt werden, um sich sicher zu fühlen. „Das wird der Augenblick – und das wird das Jahr sein, in dem ich den Rest der Welt hinter mir lasse“, sagte er der Zeitung „Guardian“. Und: „Eine Menge Legenden und viele Leute sind vor mir gekommen. Aber das ist jetzt meine Zeit.“