Joseph Beuys etwa – fürwahr ein Textilkünstler von Rang, man werfe nur noch einmal einen Blick in den Beuys-Raum der ständigen Sammlung – muss mit einem beengten Eckchen auskommen. In der hängt sein Filzanzug und läuft ein Video, das seine Aktion „I like America and America likes Me“ zur Eröffnung der New Yorker Galerie René Bock dokumentiert. Damals, 1974, ließ sich der Meister drei Tage lang mit einem Koyoten in einem Gitterkäfig einsperren. Eingehüllt in eine Filzdecke und mit dem Hirtenstab in der Hand verneigte er sich vor dem Tier, in einem symbolischen Akt der Versöhnung zwischen Mensch und Natur. Was aus heutiger Sicht teilweise unfreiwillig komisch wirkt – der Koyote ignoriert den Künstler aus Germany konsequent und entwindet sich unwillig seinen Umarmungsversuchen – bekommt durch einen ebenfalls ausgestellten traditionellen türkischen Hirtenmantel, ein Ding wie eine Hütte aus Filz, eine neue Wahrheit.

 

Schade ist es auch um Bilder wie Degas’ „Büglerin“ (1869), ein Schlüsselwerk wie Klimts „Marie Henneberg“, das den Weg nach Stuttgart nicht gefunden hat. In seinen aufgehängten Wäschestücken klingt nicht nur die viel spätere Farbfeldmalerei an, Degas spielt hier auch mit gemalter Textur und der Oberfläche der Leinwand, die durch die Stoffe hindurchschimmert. Ein Generalthema der Moderne – der Gegensatz zwischen illusionistischem Bildraum und dem zweidimensionalen Bildträger – ist hier angesprochen, mithilfe des Mediums Textil, das für diese Auseinandersetzung offenbar besonders taugt.

Eines von insgesamt elf Kapiteln, in denen die Ausstellung ihr Thema abhandelt, ist den „Spiderwomen“ gewidmet: Obwohl mit der Zivilisationsgeschichte aufs engste verwoben und in der Moderne von so „männlichen“ Künstlern wie Beuys oder Claes Oldenburg in seinen Soft Sculptures fortgeführt, hat die Textilkunst im 20. Jahrhundert ein Imageproblem als „Frauenkram“. Feministische Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel oder Louise Bourgeois bedienen sich darum gerade dieses „weiblichen“ (oder weibischen?) Materials, um in ironischer und zorniger Zuspitzung des Klischees Ranggleichheit für Künstlerinnen zu fordern. Trockel, indem sie abstrakte Strickbilder produziert oder minimalistische Entwürfe auf computergesteuerten Webstühlen anfertigen lässt, Bourgeois indem sie die unaufhörlich an ihrem Netz arbeitende Spinne zu ihrem symbolischen Alter Ego macht.

Blumen im Garten

Ob Frauen in der Kunst heute genauso gut oder schlecht angesehen sind wie ihre männlichen Kollegen? Jedenfalls scheinen diese keinerlei Berührungsängste zu hegen, was angeblich feminine textile Techniken angeht. Der Amerikaner Mike Kelley etwa lässt 1990 mit schwarzem Wollfaden auf weißem Untergrund ein Gewiss von Linien und Knäueln entstehen, dem in Stuttgart Jackson Pollocks Gemälde „Out of the web, Nr. 7“ von 1949 antwortet. Und unter den vielen anderen Textilmännern der Schau ist es kein Geringerer als Gerhard Richter, der mit zwei riesigen Tapisserien vertreten ist, die zu den spektakulären Stücken und Entdeckungen dieser Ausstellung gehören. Als Motiv hat er sich dafür so ungefähr das Komplizierteste ausgesucht, was das eigene Oeuvre hergibt: eines seiner monumentalen abstrakten Gemälde – „Nr. 724-4“ (1990) –, das via Digitalfotografie in Wandbehänge übersetzt wird. Die Wirkung ist sensationell.

Eine Ausstellung, welche die Rolle von Textilien in der Kunstgeschichte untersucht, wagt sich an ein uferloses Thema, denn Stoffe, Kleider, Hüllen jeder Art sind die sprichwörtliche zweite Haut des Menschen von allem Anfang an (oder spätestens seit seine unschuldige FKK-Existenz mit dem Rauswurf aus dem Paradies beendet wurde). Der Architekt Gottfried Semper glaubte sogar, dass Techniken wie das Spinnen, Weben und Knüpfen die frühesten Kulturtechniken überhaupt waren, und zwar aller Völker: „Am Anfang war die textile Kunst“, schrieb er 1860 in seinem Traktat über die textile Kunst in Beziehung zur Baukunst.

Die Beschränkung auf die Moderne grenzt das Untersuchungsgebiet einerseits zwar ein, schier unerschöpflich bleibt das Thema andererseits aber dennoch, da der Blick der Ausstellung wie meist bei Brüderlin zugleich aufs Globale gerichtet ist – nicht, um kulturelle Differenzen zu nivellieren oder (falsche) Analogien zu konstruieren, sondern um nach unterschiedlichen Ideen und Wahrnehmungsweisen zu fragen, die zu ähnlichen Formen führen. Wolfsburg brauchte für „Kunst & Textil“ 3000 Quadratmeter und annähernd 200 Kunstwerke, Stuttgart muss sich nun mit etwa einem Drittel der Fläche und der Hälfte der Werke begnügen – soviel, wie in die 1000 Quadratmeter des Wechselausstellungsraums der Neuen Staatsgalerie nun einmal hineinpassen. Christiane Lange und ihr Team haben sich – mit Erfolg – alle Mühe gegeben, die störenden Stützen des Saales mit raumhohen Stellwänden auszublenden, die bis an die Gitterdecke reichen, doch dass an manchen Stellen nur ein Kondensat der Wolfsburger Version übrig geblieben ist, sieht man der Präsentation da und dort an.

Beuys und Amerika

Joseph Beuys etwa – fürwahr ein Textilkünstler von Rang, man werfe nur noch einmal einen Blick in den Beuys-Raum der ständigen Sammlung – muss mit einem beengten Eckchen auskommen. In der hängt sein Filzanzug und läuft ein Video, das seine Aktion „I like America and America likes Me“ zur Eröffnung der New Yorker Galerie René Bock dokumentiert. Damals, 1974, ließ sich der Meister drei Tage lang mit einem Koyoten in einem Gitterkäfig einsperren. Eingehüllt in eine Filzdecke und mit dem Hirtenstab in der Hand verneigte er sich vor dem Tier, in einem symbolischen Akt der Versöhnung zwischen Mensch und Natur. Was aus heutiger Sicht teilweise unfreiwillig komisch wirkt – der Koyote ignoriert den Künstler aus Germany konsequent und entwindet sich unwillig seinen Umarmungsversuchen – bekommt durch einen ebenfalls ausgestellten traditionellen türkischen Hirtenmantel, ein Ding wie eine Hütte aus Filz, eine neue Wahrheit.

Schade ist es auch um Bilder wie Degas’ „Büglerin“ (1869), ein Schlüsselwerk wie Klimts „Marie Henneberg“, das den Weg nach Stuttgart nicht gefunden hat. In seinen aufgehängten Wäschestücken klingt nicht nur die viel spätere Farbfeldmalerei an, Degas spielt hier auch mit gemalter Textur und der Oberfläche der Leinwand, die durch die Stoffe hindurchschimmert. Ein Generalthema der Moderne – der Gegensatz zwischen illusionistischem Bildraum und dem zweidimensionalen Bildträger – ist hier angesprochen, mithilfe des Mediums Textil, das für diese Auseinandersetzung offenbar besonders taugt.

Eines von insgesamt elf Kapiteln, in denen die Ausstellung ihr Thema abhandelt, ist den „Spiderwomen“ gewidmet: Obwohl mit der Zivilisationsgeschichte aufs engste verwoben und in der Moderne von so „männlichen“ Künstlern wie Beuys oder Claes Oldenburg in seinen Soft Sculptures fortgeführt, hat die Textilkunst im 20. Jahrhundert ein Imageproblem als „Frauenkram“. Feministische Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel oder Louise Bourgeois bedienen sich darum gerade dieses „weiblichen“ (oder weibischen?) Materials, um in ironischer und zorniger Zuspitzung des Klischees Ranggleichheit für Künstlerinnen zu fordern. Trockel, indem sie abstrakte Strickbilder produziert oder minimalistische Entwürfe auf computergesteuerten Webstühlen anfertigen lässt, Bourgeois indem sie die unaufhörlich an ihrem Netz arbeitende Spinne zu ihrem symbolischen Alter Ego macht.

Blumen im Garten

Ob Frauen in der Kunst heute genauso gut oder schlecht angesehen sind wie ihre männlichen Kollegen? Jedenfalls scheinen diese keinerlei Berührungsängste zu hegen, was angeblich feminine textile Techniken angeht. Der Amerikaner Mike Kelley etwa lässt 1990 mit schwarzem Wollfaden auf weißem Untergrund ein Gewiss von Linien und Knäueln entstehen, dem in Stuttgart Jackson Pollocks Gemälde „Out of the web, Nr. 7“ von 1949 antwortet. Und unter den vielen anderen Textilmännern der Schau ist es kein Geringerer als Gerhard Richter, der mit zwei riesigen Tapisserien vertreten ist, die zu den spektakulären Stücken und Entdeckungen dieser Ausstellung gehören. Als Motiv hat er sich dafür so ungefähr das Komplizierteste ausgesucht, was das eigene Oeuvre hergibt: eines seiner monumentalen abstrakten Gemälde – „Nr. 724-4“ (1990) –, das via Digitalfotografie in Wandbehänge übersetzt wird. Die Wirkung ist sensationell.

Auf welche Tradition diese Arbeiten zurückgehen, zeigt der flämische Gobelin aus dem 16. Jahrhundert vis-à-vis. In einem mit Blumen bewachsenen Garten sitzen da zwei Frauen und sticken, vor sich geöffnete Schachteln mit Wollknäueln. Hier in diesem Raum findet sie vielleicht statt, die von Gestaltern wie William Morris und Henry van de Velde ersehnte Versöhnung von Kunst und Kunsthandwerk, hier wird sie sichtbar, die Abstraktion aus dem Geist des Textilen.