Die große Landesaustellung im der Stuttgarter Staatsgalerie thematisiert den Arbeitsraum der Künstler. Mal aufgeräumt, mal chaotisch ist es im Atelier.

Stuttgart - Herr Postma kommt. Aufatmen bei Ina Conzen, der Kuratorin der bevorstehenden großen Ausstellung über Künstlerateliers an der Staatsgalerie, als der freundliche ältere Herr um die Ecke biegt. Mit dem Ingenieur aus Delft, der das Pariser Atelier des niederländischen De-Stijl-Künstlers Piet Mondrian im 1:1-Maßstab rekonstruiert hat, kann der Aufbau in Stuttgart losgehen. Die Bodenplatten haben die Leute von der Spedition schon ausgepackt und ausgelegt, aber der Eingang befindet sich nach Ina Conzens Ansicht auf der falschen, besucherabgewandten Seite. Also heißt es das Ganze drehen. Herr Postma zieht seine Lederjacke aus und krempelt die Ärmel hoch. Ran ans Werk!

 

Das Atelier ist nicht nur Künstlerwerkstatt, sondern seit dem frühen 19. Jahrhundert auch zentrales Bildthema der Kunst. In der Romantik etwa porträtierte Caspar David Friedrich sich mehrmals an der Staffelei, sein Zeitgenosse Carl Gustav Carus ließ in einem Nachstück den Mond in seine verlassene Malerstube scheinen. Der Malerfürst Hans Makart staffierte seine Werkstatt prunkvoll mit Teppichen, Waffen und Antiquitäten aus und veranstaltete darin legendäre Atelierfeste, zu denen er die damalige Hautevolée von Richard Wagner bis Franz Liszt einlud. Selbst Kaiserin Sisi soll vorbeigeschaut haben.

Meese malt mehrere Bilder gleichzeitig

Eine Schlüsselrolle spielt das Künstleratelier dann auch in der Klassischen Moderne. Kirchner, Beckmann, de Chirico, Picasso, Matisse, Giacometti – sie alle haben Atelierbilder gemalt. Und auch heute lässt die Auseinandersetzung mit dem eigenen Arbeitsraum viele Künstler nicht los: Paul McCartney zum Beispiel, der das parodistische Video „Painter“ drehte, oder Jonathan Meese, der in dem Video „Der Märchenprinz“ singend und hüpfend mehrere Bilder gleichzeitig malt.

Dass der „Mythos Atelier“ bisher noch kein Ausstellungsthema war, kann bei der Bedeutung und Kontinuität des Sujets einigermaßen überraschen. Aber nun hat sich die Staatsgalerie des Künstlerateliers in Geschichte und Gegenwart angenommen und richtet ihm eine Sonderschau aus, die nach der erfolgreichen und publikumswirksamen Ausstellung „Turner, Monet, Twombly“ der zweite Höhepunkt im Staatsgalerie-Kalender 2012 zu werden verspricht. Wie immer schöpft das Museum dafür aus den eigenen Beständen, konnte aber auch bedeutende Leihgaben aus New York, Washington, Paris, Barcelona, Berlin und München gewinnen. Einige Künstler wie Jeff Wall und Thomas Demand waren so begeistert von dem Ausstellungsprojekt, dass sie von sich aus Werke zum Thema zur Verfügung stellten.

Bei einigen chaotisch, bei anderen aufgeräumt

Eine besondere Attraktion der Schau sind sicher die nachgebauten Künstlerateliers. Eine Woche vor Ausstellungsbeginn ist das Atelier von Daniel Spoerri so gut wie fertig: ein winziges, vollgestopftes Kämmerchen, das der Künstler in Paris bewohnte und wo seine auf Tabletts und Tischplatten fixierten Überreste von Mahlzeiten („Tableaux pièges“) entstanden. Auffallend darin vor allem die zwei Regale voller Knochen über dem Bett. Doch wohl keine Menschenknochen?

Von Beuys’ Arbeitsraum ist noch nicht viel zu sehen, Dieter Roths Atelier dahinter ähnelt in seiner überquellenden Materialfülle dem Spoerri-Atelier. Das genaue Gegenteil lässt sich bei Mondrian besichtigen: penibel aufgeräumt, streng geometrisch, beschränkt auf Weiß, Schwarz, Rot, Gelb und Blau – wie seine Malerei.

Ganz am Ende des Rundgangs erwartet den Besucher die monumentale Videoinstallation „Mapping the Studio I“ von Bruce Nauman: sieben grünlich-graue Projektionen, die Naumans Werkstatt in New Mexico zeigen. Es tut sich nichts. Ab und zu huscht eine Maus durchs Bild, man hört die Katze miauen und die fernen Geräusche der Wüste draußen vor dem Fenster. Es ist Nacht – wie bei Carl Gustav Carus. Nur nicht so romantisch.