Staatsmann Churchill Pöbelnder Rassist oder Ehrenmann?

Zwei Finger für den Sieg: Churchill 1943 vor Downing Street No 10. Foto: dpa/A9999 DB

In Großbritannien gilt Winston Churchill als Nationalheld, der England und Europa vor dem Faschismus rettete. Doch rassistische Äußerungen bieten auch Anlass zu Kritik an dem großen Antifaschisten und überzeugten Europäer.

London -

 

Winston Churchill war nicht nur der unbeugsame Brite, der England zum Sieg über Hitler verhalf, und der visionäre Staatsmann, der die Idee von einem vereinten Europa entwarf. Als glühender Verfechter des British Empire war er auch ein typischer Repräsentant Englands kolonialer Machtpolitik.

Geboren am 30. November 1874 als ältester Sohn des konservativen Politikers Lord Randolph Spencer Churchill und einer reichen Amerikanerin auf Schloss Blenheim. Enkel des siebten Herzogs von Marlborough – und ein Tunichtgut.

Mit sieben Jahren wird der junge Churchill auf das St.-James-Internat in Ascot gebracht, neben Brighton und Harrow eine der Eliteschulen Englands. Doch der widerspenstige Marlborough-Enkel ist für die übliche Normalerziehung der oberen Zehntausend untaugliches Rohmaterial. Es lässt sich nicht bearbeiten. Das autoritäre System widerstrebt ihm.

Letzte Kavallerie-Attacke bei Omdurman

Seine Zeugnisse sind so schlecht, dass ein Studium nicht infrage kommt. Man schickt ihn auf die Kadettenanstalt nach Sandhurst, wo er als Kavallerieleutnant im 4. Husarenregiment dient. Der junge Offizier ist in der Folgezeit an den Brennpunkten des Empire zu finden – in Kuba, Afghanistan, später im Sudan, wo er 1898 unter Lord Kitchener bei Omdurman die letzte große Kavallerie-Attacke der englischen Kriegsgeschichte mitreitet.

Churchill entdeckt seine Freude am Wort. Mit 25 verlässt er die Armee und zieht als Reporter in den Burenkrieg. Er gerät in Gefangenschaft, wird aber durch eine spektakuläre Flucht zum Kriegshelden. Der junge Aristokrat geht in die Politik und zieht 1901 für die Konservativen ins Unterhaus ein, wechselt drei Jahre später zu den Liberalen und macht im Kabinett Asquith Karriere.

Glaube an die Überlegenheit der Weißen

1911 wird Churchill Marineminister. Als Erster Lord der Admiralität gebietet er über die größte Flotte der Welt, jenes Machtinstrument, auf dem Englands Empire beruht. Als Kind des viktorianischen Zeitalters glaubt Churchill an die Überlegenheit der Weißen. Ein Weltbild, das sich bei ihm laut dem englischen Historiker Steven Fielding in einem „kolonialen Paternalismus“ äußert und in rassistischen Äußerungen niederschlägt.

Churchill bezeichnet Inder als „tierisches Volk“ und äußert sich abwertend über Schwarze und „Menschen mit Schlitzaugen“. Dass er in der modernen, mit Sternchen und den Sprachcodes der Political Correctness bewehrten Welt fehl am Platze wäre, steht außer Frage. Doch daneben steht seine Bedeutung als Bollwerk gegen Hitler und visionärer Staatsmann.

Rücktritt nach dem Fiasko von Gallipoli

Früh sieht er den Krieg mit dem deutschen Kaiserreich kommen, setzt die höchsten Marine-Etats in Englands Finanzgeschichte durch und modernisiert die Flotte. Als es dann 1914 losgeht, muss Churchill nach einem Dreivierteljahr den Hut nehmen. Eine amphibische Landung bei Gallipoli scheitert und er übernimmt die Verantwortung dafür.

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Er langweilt sich im Unterhaus. Doch dann holt ihn Premier Lloyd George 1917 an die Macht zurück und ernennt ihn zum Rüstungsminister. Churchill beweist einmal mehr sein Organisationstalent: Er lässt Panzer bauen. Churchill und die neue rollende Waffe bringen tatsächlich Bewegung in die erstarrten Schützengräben Frankreichs.

Churchills Rückkehr zu den Konservativen

Die russische Revolution und die Nachkriegswirren lassen Churchill, der nie ein echter Liberaler gewesen war, wieder konservativer denken, sodass er 1924 zu den Tories zurückkehrt. Mit dem Regierungswechsel 1929 scheint seine Laufbahn schon wieder zu Ende zu sein.

In seinen Schreibtischjahren erkennt Churchill als einer der Ersten in England die aufkommende Gefahr: Hitler. Die Grundströmung in Großbritannien ist in den 30er Jahren pazifistisch. Churchills Warnungen verhallen bei den Appeasement-Politikern ungehört. Als sich seine Befürchtungen im September 1939 bewahrheiten, macht ihn Premier Neville Chamberlain zum Marineminister.

Hitlers Panzer überrollen Frankreich

Als Hitlers Divisionen im Mai 1940 Frankreich überrollen, tritt Chamberlain zugunsten des Ersten Lords zurück. Churchill weiß, dass nach Jahren des Zauderns gegenüber dem deutschen Diktator eine deutlichere Sprache gesprochen werden muss. Und so verzweifelt sich die Lage in Frankreich auch darstellt – Churchill ist fest entschlossen, nie einen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass England weiterkämpfen wird.

Am 13. Mai verspricht der neue Premier seinen Landsleuten nur „Blut, Schweiß und Tränen“. Gegen die „monströse Tyrannei“ wolle er den Sieg erringen, „um jeden Preis“. Keinen Monat später können die Briten bei Dünkirchen ihr Expeditionskorps vor der Wehrmacht in Sicherheit bringen.

Zwei Finger für den Sieg

Auch in dieser schwierigen Stunde zeigt Churchill seinen unbeugsamen Widerstandsgeist. Bärbeißig wie eine Bulldogge, als die er gerne dargestellt wird, ruft er sein Volk zum Durchhalten auf. Berühmt wird seine Geste der zu einem V gespreizten Finger, das Victory-Zeichen, mit dem er seinen verzagten Landsleuten immer wieder Mut macht.

Churchills Zuversicht bewahrheitet sich. In den kommenden Monaten scheitert die „Luftschlacht um England“. Churchill treibt die vernachlässigte Rüstung voran. Ingrimmig setzt er auf eine starke Bomberflotte, um den Deutschen heimzuzahlen, was London monatelang hatte erdulden müssen – Luftterror.

Ungeliebtes Bündnis mit Stalin

Doch der Krieg verlangt Kompromisse. Nach dem Angriff Hitlers auf Russland wird der Brite zum Verbündeten des von ihm verabscheuten Diktators Stalin. In Churchill wächst die Sorge, England könne zum Juniorpartner der künftigen Supermächte USA und UdSSR werden. Als die „Großen Drei“ 1943 in Teheran zusammenkommen, wird dies zur Gewissheit. Stalin kann Roosevelt von einer Invasion in Frankreich überzeugen. Alles läuft auf eine amerikanisch-sowjetische Zangenbewegung hinaus und die Aufteilung Europas unter den zwei Supermächten.

Der Held wird zum Verlierer

Bei Kriegsende bleibt ein England zurück, das weniger zerstört ist als Deutschland, aber kaum weniger geschwächt. Und der Held wird zum Verlierer. Während der Konferenz von Potsdam 1945 wählen ihn seine Landsleute aus dem Amt. Grollend verlässt Churchill die Konferenz, wo sich nun sein Nachfolger mit Stalin zankt.

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Selbst außer Dienst hat Churchills Stimme Gewicht. 1946 beeindruckt er mit zwei Auftritten die Weltöffentlichkeit. In Fulton, im US-Bundesstaat Missouri, beschäftigt er sich mit dem Eisernen Vorhang, der über Europa niedergeht und die Spaltung des Kontinents einleitet. Nicht minder großes Echo findet seine Rede in Zürich: Angesichts der Teilung Europas regt er die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ an, eine Idee, die ihn zum Mitbegründer der Europäischen Union macht.

Debatte um Denkmäler für „Old Winnie“

Zu Hause umgibt „Old Winnie“ der Glorienschein des Siegers, ein lebendiges Denkmal ohne Macht. 1951 wird er noch einmal für dreieinhalb Jahre Premierminister, die unspektakulär verlaufen. Als er 1965 mit 90 Jahren stirbt, trägt England den „letzten Helden des British Empire“ zu Grabe. Die Denkmäler, die ihm zu Ehren aufstellt werden, stehen heute in der Kritik identitärer Bewegungen.

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